Amtsermittlungspflicht
Für Betreuungs- und Unterbringungssachen als Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt der Grundsatz der Amtsermittlung. Er ist in allen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten sowohl in Amtsverfahren als auch in Antragsverfahren. Er verpflichtet den Betreuungsrichter von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die notwendigen Beweise zu erheben. Diese Pflicht wird durch § 278 FamFG iVm § 34 FamFG, ergänzend geregelt. § 26 FamFG, legt dem Gericht die Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts auf. Das Gericht hat die Ermittlungen von Amts wegen soweit auszudehnen, wie es die Sachlage erfordert (BayObLG FamRZ 1990, 1281/1283). Es ist hierbei nicht an den Vortrag der Parteien gebunden. Es darf Tatsachen berücksichtigen, die von den Parteien nicht vorgetragen wurden und ist bei der Erhebung von Beweisen nicht an etwaige Vorschläge der Parteien gebunden.
Es hat auch unstreitige Tatsachen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wenn dazu Anlass besteht (BayObLG NJW-RR 1997, 971/972). Zur Durchführung der Ermittlungen darf das Gericht aber nur dann Zwangsmittel anwenden, wenn hierfür eine eigene Rechtsgrundlage gegeben ist. § 26 FamFG, selbst kommt als Rechtsgrundlage für die Anwendung von Zwang nicht in Betracht (BayObLGZ 1995, 222/224). Die rechtsfehlerfreie Tatsachenfeststellung durch den Tatrichter ist von größter Bedeutung für das weitere Verfahren. Ist der für die Entscheidung erhebliche Sachverhalt mangelhaft und/oder mit Verfahrensfehlern festgestellt, ist das Gericht bei Rechtsbeschwerde gem § 70 FamFG (der BGH) gezwungen, die Entscheidung aufzuheben und die Sache an den Tatrichter zurückzuverweisen, wenn auf dem Mangel die Entscheidung beruht. An verfahrensfehlerfrei festgestellte Tatsachen ist das Gericht der weiteren Beschwerde hingegen gebunden. Die verfahrensfehlerfreie Tatsachenfeststellung kann auch durch die Rechtsbeschwerde nicht angegriffen werden.
Rechtsprechung:
BGH, Beschluss vom 16.05.2012 - XII ZB 584/11, NJW-RR 2012, 964 = FGPrax 2012, 199:
- Das Betreuungsgericht hat von Amts wegen alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 13).
- Die Voraussetzungen für eine Betreuung nach § 1814 BGB können nicht aufgrund einer bloßen Verdachtsdiagnose des Sachverständigen festgestellt werden.
prozessrechtlicher Untersuchungsgrundsatz des deutschen Rechtsstaats
Ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat gewährt seinen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sowie den berechtigten Gästen Rechtsschutz durch seine unabhängige Rechtsprechung (siehe Art. 92 GG). So können die Menschen ihre privaten Rechte im Staat gewaltfrei durchsetzen. Die Rechtsdurchsetzung kann aber zu einem Einbruch in die Rechtssphäre des vom Urteil Betroffenen führen. Deshalb muss für alle staatlichen Eingriffe in die Privatsphären der Menschen in einem Rechtsstaat der Grundsatz strenger Gesetzmäßigkeit gelten.
Der deutsche Gesetzgeber muss daher feste, allgemein geltende Regeln, nach denen das gerichtliche Verfahren abläuft, in einem Gesetz festlegen. Man spricht im deutschen Prozessrecht von Verfahrensprinzipien oder Prozessrechtsgrundsätzen. Einer dieser Grundsätze ist der Untersuchungsgrundsatz im Unterschied zum im Zivilprozess sonst üblichen Verhandlungsgrundsatz.
Beim Untersuchungsgrundsatz gilt eine eigene Amtsermittlungspflicht für das entscheidende Gericht. Dies bedeutet, dass das Gericht selbst die Verantwortung für die Tatsachengrundlage seines Urteils hat, also von sich aus und ohne an den Parteivortrag der Rechtsanwälte gebunden zu sein die für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen in den Prozess einführt, die Beweismittel wie Zeugen und Urkunden heranzieht und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Der Untersuchungsgrundsatz gilt vor allem im deutschen Strafprozess und in der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß § 26 FamFG (früher § 12 FGG). Somit sind auch Betreuungsrichter an den Untersuchungsgrundsatz gebunden und müssen die Betroffenen – nicht nur die zuständigen Betreuungsbehörden – anhören.
Siehe auch
- Mitwirkungspflicht
- Vertretung gegenüber Behörden
- Betreuungsverfahren
- Vorläufiger Betreuer
- Behördenbetreuer
- Betreuungsgerichtshilfe
- Querschnittsaufgaben
- Betreuungsarbeitsgemeinschaft
- Unterstützungspflicht
- Mitteilungspflicht
- Amtspflichtverletzung
- Grundrechte
- Eherecht und Betreuung
- intellektuelle Beeinträchtigung