Selbstbestimmung

Aus Online-Lexikon Betreuungsrecht
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Das Recht auf selbstbestimmtes Leben

Allgemeines

Die Betreuung soll so geführt werden, dass sie dem Wohl des Betreuten dient. Dies ist zunächst einmal ein unbestimmter Rechtsbegriff, der mit Inhalt gefüllt werden muss. Auch nach dem früheren Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht sollte das Wohl des Mündels/Pfleglings Richtschnur des Handelns seines gesetzlichen Vertreters sein.

Im Einzelnen:

Wohl und Wünsche des Betreuten

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Die Betreuung soll so geführt werden, dass sie dem Wohl des Betreuten dient. Dies ist zunächst einmal ein unbestimmter Rechtsbegriff, der mit Inhalt gefüllt werden muss. Auch nach dem bisherigen Vormundschaftsrecht sollte das Wohl des Mündels Richtschnur des Handelns des Vormundes sein.

Nunmehr ist allerdings neu, dass nicht allein die objektiven Kriterien für das Wohl des Betreuten heranzuziehen sind, sondern auch die subjektive Sichtweise des Betreuten hinzukommt. Der Betreuer soll sich bemühen, die Sichtweise des Betreuten einzunehmen, da nur dies dem Grundsatz der treuhänderischen Aufgabenwahrnehmung für den Betreuten entspricht. Der vertrauensvolle persönliche Kontakt zwischen Betreuer und Betreutem steht daher im Vordergrund.

Der Betreuer hat das Wohl des Betreuten zu beachten und zu fördern

Dies wird auch im Gesetz selbst deutlich, wenn davon die Rede ist, dass zum Wohl des Betreuten auch gehört, sein Leben im Rahmen seiner Fähigkeiten nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten (§1901 Abs. 2 BGB ). Hierzu zählt es z.B., dass vorhandenes Vermögen nicht um jeden Preis zusammengehalten werden sollte, um später einmal ein Altenpflegeheim zahlen zu können oder gar, damit es die Erben später erhalten. Der Betreuer darf seine eigenen Vorstellungen nicht ohne zwingenden Grund an die Stelle derjenigen des Betreuten setzen. Die Betreuertätigkeit ist auf das Wohl des Betreuten abgestellt (Zitat de § 1901 Abs. 3 BGB). Es geht also darum, die Lebenssituation des Betreuten zu verbessern oder zu stabilisieren. Oft fehlen dem Betreuten die Möglichkeiten, sich selbst zu helfen. Auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten kommt es nicht an. Betreuungsvoraussetzung nach § 1896 BGB ist ja neben dem Vorliegen einer Krankheit oder Behinderung die Unfähigkeit, seine Angelegenheiten selbst oder durch selbst gewählte Hilfen zu erledigen.

Wünsche kann der Betreute auch gegenüber dem Personal der Einrichtung äußern, in der er lebt. Der Betreuer sollte auch deshalb Kontakt zum Pflegepersonal halten, damit er Kenntnis von diesen Wünschen bekommt. Lassen sich die Wünsche des Betreuten nicht feststellen, so sollte der Betreuer versuchen, den vermeintlichen Willen des Betroffenen herauszufinden. Hierzu sind Auskünfte nahestehender Personen nützlich. Anhaltspunkte dürften sich auch aus der früheren Lebensführung oder einer Betreuungsverfügung ergeben.

Widersprechen Wünsche dem Wohl des Betreuten, muss der Betreuer sie nicht beachten

Der Betreuer muss sich durch regelmäßige persönliche Kontakte und Besprechung wichtiger anstehender Entscheidungen ein Bild davon machen, welche Vorstellungen der Betreute hat, was er gerne möchte und was er nicht will. Danach muss er sich auch richten, es sei denn, dies liefe eindeutig dem Wohl des Betreuten zuwider oder wäre für den Betreuer selbst unzumutbar. Der Betreuer darf seine eigenen Vorstellungen nicht ohne zwingenden Grund an die Stelle derjenigen des Betreuten setzen. Leider sind die Vorstellungen betreuter Menschen oft unrealistisch oder sie lehnen die Hilfen des Betreuers gänzlich ab. In einem solchen Widerspruch zwischen Wünschen und Wohl des Betreuten muss der Betreuer oft eine schwierige Gratwanderung gehen.

Im Zweifel muss er sich oft für das objektive Wohl des Betreuten entscheiden. Beispiele hierfür sind gegeben, wenn es darum geht, ob ein betreuter Mensch noch in der gewohnten häuslichen Umgebung wohnen kann oder in einer geschützten Umgebung (z.B. Behindertenwohnheim oder Pflegeheim) wohnen muss. Nachdem der Betreuer alle Möglichkeiten ausschöpft, ambulante Hilfen zu organisieren (§ 1901 Abs. 4 BGB), kann es sein, dass aufgrund der Schwere der Krankheit oder Behinderung ein häusliches Wohnen nicht (mehr) möglich ist. In solchen Fällen muss der Betreuer ggf. auch gegen den erklärten Willen des Betreuten handeln. Vgl. unter Wohnungsauflösung.

Das gleiche gilt, wenn Wünsche dem Betreuer nicht zugemutet werden können

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Der Betreuer soll tolerant mit Wünschen des Betreuten umgehen und nicht seine eigenen Moralvorstellungen beachten, sondern versuchen, sich in die Sichtweise des Betreuten zu versetzen. Indes können hier Grenzen erreicht werden, die es dem Betreuer unmöglich machen, die Wünsche des Betreuten zu erfüllen. So wird es selten möglich sein, ständige oder tägliche Kontakte mit dem Betreuten aufzunehmen. Persönliche Pflegetätigkeiten und hauswirtschaftliche Hilfe sind nicht Sache des Betreuers, sondern ggf. anderer vom Betreuer zu organisierender Hilfskräfte, sofern diese nötig und finanzierbar sind.Auch hier soll der Betreuer sich bemühen, die Maßstäbe aus der Sicht des Betreuten anzunehmen und ihm hierbei auch ein gewisses Recht auf Verwirrtheit zugestehen. Übergeht der Betreuer Wünsche des Betreuten ohne triftigen Grund, so kann das Gericht ihn gem. § 1837 Abs. 2 i.V.m. § 1908i BGB hierzu anhalten. Der Betreuer sollte stets nachvollziehbar dokumentieren, warum er in Einzelfällen Wünschen des Betreuten nicht nachgekommen ist.

Soweit zum Wohl des Betreuten notwendig, muss der Betreuer für eine Freiheitsentziehung sorgen

Ein Beispiel widersprechender Wünsche und des Wohls des Betreuten sind freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1906 Abs. 1 BGB oder so genannter unterbringungsähnlicher Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB In diesen Fällen handelt es sich regelmäßig um Situationen, in denen der Betreute krankheitsbedingt uneinsichtig ist und der Betreuer gezwungen ist, zum Wohl des Betreuten eine Freiheitsentziehung zu veranlassen. Indes ist rechtlich nicht klar, ob der Betreute gegen seinen Willen auch ärztlich behandelt werden kann, wenn er noch in der Lage ist, einen Willen zu äußern.

Post- und Telefonkontrolle darf der Betreuer nur mit gerichtlicher Genehmigung ausüben

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Nach § 1896 Abs. 4 BGB darf der Betreuer nur dann den Post- und Telefonverkehr des Betreuten einschränken, wenn das Vormundschaftsgericht es ausdrücklich genehmigt hat. Ob dies der Fall ist, kann man in der Regel aus dem Betreuerausweis entnehmen, der neben den Aufgabenkreisen und eventuellen Einwilligungsvorbehalten auch Hinweise hierzu enthält. Besitzt der Betreuer diese Genehmigung, kann er Post zu sich nachsenden lassen und z.B. bestimmte Telefonnummern sperren lassen, durch die der Betreute sich finanziell schädigen könnte.

Besprechungspflicht

Der Betreuer darf sich nicht auf die Erledigung des anfallenden Schriftverkehrs beschränken; ein wichtiger Teil der Aufgabe ist vielmehr der persönliche Kontakt.

Zu persönlichen Betreuung gehört auch, wichtige Angelegenheiten mit dem Betreuten zu besprechen, bevor der Betreuer sie erledigt. Diese Pflicht ist in § 1901 Abs. 2 Satz 3 BGB festgelegt. Was eine "wichtige" Angelegenheit ist, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls und muss aus der Perspektive des Betreuten gesehen werden. Beispiele für wichtige Angelegenheiten sind: Entscheidungen über den Post und Fernmeldeverkehr, ärztliche Untersuchungen und Heilbehandlungen, Sterilisation und Wohnungsauflösungen.

Ausgangspunkt für die Betrachtung ist die Sicht des Betreuten. Beurteilungskriterien für den Grad der Wichtigkeit: Diese bestimmt sich danach,

  • ob die Angelegenheit im Lebenszusammenhang des Betreuten, für seine Lebensgestaltung, eine aus dem Alltag herausragende Bedeutung hat,
  • ob sie eine für sein Leben spürbare Veränderung mit sich bringt.

Die Besprechungspflicht entfällt, wenn dies dem Wohl des Betreuten widersprechen würde, was eventuell bei Personen in akuten psychischen Krisen der Fall sein könnte. Der Betreuer sollte in einem solchem Falle seine Beweggründe, von einer Besprechung abzusehen, auf jeden Fall aktenkundig machen, um im Haftpflichtfall nicht in Beweisnot zu kommen. Die Besprechung sollte, sobald möglich, nachgeholt werden.

Keine Besprechungspflicht:

  • negative Abgrenzung: für alle anderen Angelegenheiten, die nicht „wichtig“ sind; einfache Angelegenheiten sind nicht stets unwichtig (Bsp. Verkauf eines Hauses, der Einrichtung);
  • Besprechung sinnlos, da der Betreute aufgrund seiner Behinderung oder Krankheit intellektuell nicht in der Lage ist, einer Besprechung zu folgen bzw. diese zu verstehen
  • Grenze der Zumutbarkeit für den Betreuer überschritten; falls der Betreute für jede Einzelheit eine Besprechung verlangt

Auch wenn der Betreute so stark behindert ist, dass Gespräche mit ihm nicht möglich sind, so sollte der Betreuer ihn gleichwohl von Zeit zu Zeit aufsuchen, um sich einen Eindruck von seinem Zustand zu verschaffen.

Siehe auch

Grundrechte, Heilbehandlung, Zwangsbehandlung, Unterbringungsähnliche Maßnahme

Literatur

  • Dodegge: Selbstbestimmung trotz Einwilligungsvorbehalt, FuR 2008, 381
  • Fröschle: 15 Jahre Betreuuungsrecht - stimmt der Kurs noch? BtPrax 2007, 191 (PDF)
  • Mees-Jacobi/Stolz: Rechtliche und psychologische Aspekte einer Betreuung entsprechend den Wünschen und Vorstellungen des Betreuten, BtPrax 1994, 83
  • Meier: Betreuung und Fahreignung; BtPrax 6/2008
  • Stünker: Selbstbestimmung bis zum Lebensende - Die Reform der Patientenverfügung, DRiZ 2008, 248

Weblinks

wissenschaftliche Arbeiten