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Fundstellen: BGHZ 163, 53 = NJW 2005, 1937 = FamRZ 2005, 1074 = VersR 2005, 984
 
Fundstellen: BGHZ 163, 53 = NJW 2005, 1937 = FamRZ 2005, 1074 = VersR 2005, 984
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Klägerin war der gesetzliche Krankenversicherer der 1912 geborenen, unter Betreuung stehenden
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Klägerin war der gesetzliche [[Krankenkasse|Krankenversicherer]] der 1912 geborenen, unter Betreuung stehenden
 
Rentnerin W. Diese lebte seit 1997 in einem von der Beklagten betriebenen
 
Rentnerin W. Diese lebte seit 1997 in einem von der Beklagten betriebenen
 
Pflegewohnheim. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Pflegegutachtens hatte
 
Pflegewohnheim. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Pflegegutachtens hatte
sie bereits im Jahre 1994 bei einem Sturz eine Oberschenkelfraktur links erlitten, aufgrund
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sie bereits im Jahre 1994 bei einem Sturz eine Oberschenkelfraktur links erlitten, aufgrund deren ihr das Gehen fortan nur noch mit Hilfe und Gehstütze möglich war; kurz vor ihrer Aufnahme in das Heim der Beklagten hatte sie sich bei einem weiteren Sturz ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades und im Januar 1998 bei einem dritten Sturz ein solches zweiten Grades zugezogen. Wegen dieser Verletzungen musste sie jeweils stationär behandelt werden.  
deren ihr das Gehen fortan nur noch mit Hilfe und Gehstütze möglich war; kurz vor ihrer Aufnahme
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in das Heim der Beklagten hatte sie sich bei einem weiteren Sturz ein Schädel-Hirn-
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Nach dem Pflegegutachten war sie hochgradig sehbehindert, zeitweise desorientiert und verwirrt; ihr Gang war sehr unsicher. Sie war der Pflegestufe III zugeordnet.
Trauma ersten Grades und im Januar 1998 bei einem dritten Sturz ein solches zweiten Grades
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zugezogen. Wegen dieser Verletzungen musste sie jeweils stationär behandelt werden. Nach
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dem Pflegegutachten war sie hochgradig sehbehindert, zeitweise desorientiert und verwirrt;
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ihr Gang war sehr unsicher. Sie war der Pflegestufe III zugeordnet.
      
Im Heim bewohnte sie ein Zimmer gemeinsam mit zwei weiteren Bewohnerinnen. Neben
 
Im Heim bewohnte sie ein Zimmer gemeinsam mit zwei weiteren Bewohnerinnen. Neben
 
ihrem Bett befand sich eine Klingel; außerdem konnte sie sich durch Rufe bemerkbar machen.
 
ihrem Bett befand sich eine Klingel; außerdem konnte sie sich durch Rufe bemerkbar machen.
Das Pflegepersonal schaute regelmäßig jede Stunde, zu den Mahlzeiten und zur Inkontinenzversorgung
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nach der Bewohnerin.
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Am 27.06.2001 fand gegen 13:00 Uhr die letzte Kontrolle statt. Die Bewohnerin lag zu dieser
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Das Pflegepersonal schaute regelmäßig jede Stunde, zu den Mahlzeiten und zur Inkontinenzversorgung nach der Bewohnerin.
Zeit zur Mittagsruhe in ihrem Bett. In der Folgezeit war die zuständige Pflegekraft im
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Wohnbereich mit anderen Bewohnern beschäftigt. Gegen 14:00 Uhr wurde die Bewohnerin
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von der Pflegekraft in ihrem Zimmer vor dem Bett liegend aufgefunden. Sie hatte sich eine
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Oberschenkelhalsfraktur zugezogen und wurde bis zum 31.07.2001 stationär und anschließend
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ambulant behandelt.
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Die klagende Krankenkasse war der Auffassung, dass der Unfall auf eine Verletzung von
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Am 27.06.2001 fand gegen 13:00 Uhr die letzte Kontrolle statt. Die Bewohnerin lag zu dieser Zeit zur Mittagsruhe in ihrem Bett. In der Folgezeit war die zuständige Pflegekraft imWohnbereich mit anderen Bewohnern beschäftigt. Gegen 14:00 Uhr wurde die Bewohnerin von der Pflegekraft in ihrem Zimmer vor dem Bett liegend aufgefunden. Sie hatte sich eine
Pflichten aus dem Heimvertrag durch die Beklagte zurückzuführen sei. Sie lastete der Beklagten
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Oberschenkelhalsfraktur zugezogen und wurde bis zum 31.07.2001 stationär und anschließend ambulant behandelt.
insbesondere an, sie habe es versäumt, die Bewohnerin im Bett zu fixieren, mindestens
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aber ein Bettgitter hochzufahren. Mit ihrer Klage verlangt sie Ersatz der von ihr getragenen
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Die klagende Krankenkasse war der Auffassung, dass der Unfall auf eine Verletzung von Pflichten aus dem Heimvertrag durch die Beklagte zurückzuführen sei. Sie lastete der Beklagten insbesondere an, sie habe es versäumt, die Bewohnerin im Bett zu fixieren, mindestens aber ein Bettgitter hochzufahren. Mit ihrer Klage verlangt sie Ersatz der von ihr getragenen
 
Heilbehandlungskosten.
 
Heilbehandlungskosten.
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Der BGH verneint einen Schadensersatzanspruch der Krankenkasse (aus übergegangenem
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Der BGH verneint einen Schadensersatzanspruch der Krankenkasse (aus übergegangenem Recht der verletzten Heimbewohnerin) gegen die Beklagte.
Recht der verletzten Heimbewohnerin) gegen die Beklagte.
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In den Entscheidungsgründen führt der BGH aus, dass der beklagten Heimträgerin aus den jeweiligen Heimverträgen (vertragliche) Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohner erwuchsen.  
In den Entscheidungsgründen führt der BGH aus, dass der beklagten Heimträgerin aus den
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jeweiligen Heimverträgen (vertragliche) Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit
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Ebenso habe sie eine inhaltsgleiche
der ihr anvertrauten Heimbewohner erwuchsen. Ebenso habe sie eine inhaltsgleiche
   
allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutze der Bewohner vor Schädigungen,
 
allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutze der Bewohner vor Schädigungen,
die diesen wegen Krankheiten oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung
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die diesen wegen Krankheiten oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohten. Eine zivilrechtliche Haftung aus positiver Vertragsverletzung des Heimvertrages sowie ein deliktischer Anspruch standen somit durchaus im Raum.  
durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims
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drohten. Eine zivilrechtliche Haftung aus positiver Vertragsverletzung des Heimvertrages
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Allerdings begrenzt der BGH im Anschluss an zwei Entscheidungen des OLG München und des Landgerichts Essendie oben genannten Pflichten auf „die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müssen das
sowie ein deliktischer Anspruch standen somit durchaus im Raum. Allerdings begrenzt der
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Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein.“  
BGH im Anschluss an zwei Entscheidungen des OLG München und des Landgerichts Essen
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die oben genannten Pflichten auf „die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem
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Dabei müsse beachtet werden, dass die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.
vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müssen das
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Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein.“ Dabei
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müsse beachtet werden, dass die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner
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vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung und
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die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern seien.
      
Im Gegensatz zu einer früheren Entscheidung des BGH zu einem Sturz eines Patienten im
 
Im Gegensatz zu einer früheren Entscheidung des BGH zu einem Sturz eines Patienten im
Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme, nach der es Sache des Krankenhausträgers
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Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme, nach der es Sache des Krankenhausträgers war, aufzuzeigen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Pflegekraft beruhe, kam der BGH im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis,
war, aufzuzeigen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen
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Verhalten der Pflegekraft beruhe, kam der BGH im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis,
   
dass die Krankenkasse als Anspruchsstellerin darlegungs- und beweispflichtig sei. Allein
 
dass die Krankenkasse als Anspruchsstellerin darlegungs- und beweispflichtig sei. Allein
 
aus dem Umstand, dass die Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheims der Beklagten
 
aus dem Umstand, dass die Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheims der Beklagten
gestürzt sei und sich dabei verletzt habe, könne nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung
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gestürzt sei und sich dabei verletzt habe, könne nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals der Beklagten geschlossen werden.
des Pflegepersonals der Beklagten geschlossen werden.
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Des Weiteren durfte das Pflegepersonal nach Auffassung des BGH im zu entscheidenden Fall
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Des Weiteren durfte das Pflegepersonal nach Auffassung des BGH im zu entscheidenden Fall auch eine Fixierung der Patientin für entbehrlich halten. Insbesondere habe dabei der Umstand Gewicht, dass der von der Klägerin (Krankenkasse) selbst nach dem bis dahin letzten Sturz der Bewohnerin (Januar 1998) beauftragte ärztlich Gutachter zwar schwere Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates diagnostiziert hatte (Liegen, Sitzen, Stehen mit Hilfe, Gehen mit Hilfe und Gehstütze, sehr unsicher, kleinschrittig), aber gleichwohl besondere
auch eine Fixierung der Patientin für entbehrlich halten. Insbesondere habe dabei der Umstand
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Sicherungsmaßnahmen bei Liegen im Bett nicht in Erwägung gezogen hatte. Das, was sich dem medizinischen Dienst der im Schadensfall eintrittspflichtigen Krankenkasse an Sicherungsmaßnahmen
Gewicht, dass der von der Klägerin (Krankenkasse) selbst nach dem bis dahin letzten
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Sturz der Bewohnerin (Januar 1998) beauftragte ärztlich Gutachter zwar schwere Einschränkungen
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des Stütz- und Bewegungsapparates diagnostiziert hatte (Liegen, Sitzen, Stehen mit
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Hilfe, Gehen mit Hilfe und Gehstütze, sehr unsicher, kleinschrittig), aber gleichwohl besondere
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Sicherungsmaßnahmen bei Liegen im Bett nicht in Erwägung gezogen hatte. Das, was sich
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dem medizinischen Dienst der im Schadensfall eintrittspflichtigen Krankenkasse an Sicherungsmaßnahmen
   
nicht aufdrängt, müsse sich bei unverändertem Befund auch der Leitung
 
nicht aufdrängt, müsse sich bei unverändertem Befund auch der Leitung
 
eines Altenheims nicht aufdrängen.
 
eines Altenheims nicht aufdrängen.
    
Des Weiteren hätten die von der Klägerin geforderten Sicherungsmaßnahmen (Hochziehen
 
Des Weiteren hätten die von der Klägerin geforderten Sicherungsmaßnahmen (Hochziehen
des Bettgitters, Fixierung im Bett) einen abstrakt-generalisierenden Charakter aufgewiesen,
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des Bettgitters, Fixierung im Bett) einen abstrakt-generalisierenden Charakter aufgewiesen, welche der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bedurft hätten. Die Beklagte hatte nach Ansicht des BGH in diesem Fall keinen hinreichenden Anlass, von sich aus auf eine derartige
welche der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bedurft hätten. Die Beklagte hatte
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nach Ansicht des BGH in diesem Fall keinen hinreichenden Anlass, von sich aus auf eine derartige
   
Entscheidung des Vormundschaftsgerichts hinzuwirken.
 
Entscheidung des Vormundschaftsgerichts hinzuwirken.
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Eine schuldhafte Pflichtverletzung durch das Unterlassen, der Bewohnerin Protektorhosen,
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Eine schuldhafte Pflichtverletzung durch das Unterlassen, der Bewohnerin Protektorhosen, durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre, anzulegen verneint der BGH, weil die Krankenkasse dies nicht substantiiert genug vorgetragen hatte.
durch die die Gefahr eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre, anzulegen
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Nach Ansicht des BGH war das Heim auch seiner Pflicht, der Bewohnerin beim Aufstehen Hilfe zu leisten hinreichend dadurch nachgekommen, dass es in Reichweite der Bewohnerin eine Klingel bereitgestellt hatte, mit der diese im Bedarfsfall Hilfe hätte herbeirufen können.
verneint der BGH, weil die Krankenkasse dies nicht substantiiert genug vorgetragen hatte.
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Die Forderung der Klägerin, der Bewohnerin hätte jedes Mal beim Aufstehen unaufgefordert Hilfe geleistet werden müssen, würde auf eine lückenlose Überwachung durch die Mitarbeiter
Nach Ansicht des BGH war das Heim auch seiner Pflicht, der Bewohnerin beim Aufstehen
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Hilfe zu leisten hinreichend dadurch nachgekommen, dass es in Reichweite der Bewohnerin
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eine Klingel bereitgestellt hatte, mit der diese im Bedarfsfall Hilfe hätte herbeirufen können.
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Die Forderung der Klägerin, der Bewohnerin hätte jedes Mal beim Aufstehen unaufgefordert
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Hilfe geleistet werden müssen, würde auf eine lückenlose Überwachung durch die Mitarbeiter
   
des Pflegeheims hinauslaufen und über das dem Pflegeheim wirtschaftlich Zumutbare hinausgehen.
 
des Pflegeheims hinauslaufen und über das dem Pflegeheim wirtschaftlich Zumutbare hinausgehen.
 
Zudem seien in einem solchen Fall die Interessen der Heimbewohner an der
 
Zudem seien in einem solchen Fall die Interessen der Heimbewohner an der
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Die Entscheidung des BGH betont die Rechte der Heimbewohner. Sie sollen auch in einem
 
Die Entscheidung des BGH betont die Rechte der Heimbewohner. Sie sollen auch in einem
Alten- und Pflegeheim trotz ihrer Beeinträchtigung ein möglichst „normales Leben“ führen
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Alten- und Pflegeheim trotz ihrer Beeinträchtigung ein möglichst „normales Leben“ führen können, vor allem also unter Wahrung ihrer im [[Grundrechte|Grundgesetz]] garantierten Persönlichkeitsrechte
können, vor allem also unter Wahrung ihrer im [[Grundrechte|Grundgesetz]] garantierten Persönlichkeitsrechte
   
und Menschenwürde. Eine Fixierung ans Bett, eine Ruhigstellung durch Medikamente
 
und Menschenwürde. Eine Fixierung ans Bett, eine Ruhigstellung durch Medikamente
oder gar eine „Rund-um-die-Uhr-Überwachung“ im eigenen Zimmer kann somit nur in extremen
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oder gar eine „Rund-um-die-Uhr-Überwachung“ im eigenen Zimmer kann somit nur in extremen Situationen in Betracht kommen. Präventive freiheitsentziehende Maßnahmen zur Sturzvermeidung sind vor dem Hintergrund nur und allenfalls zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte
Situationen in Betracht kommen. Präventive freiheitsentziehende Maßnahmen zur
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Sturzvermeidung sind vor dem Hintergrund nur und allenfalls zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte
   
für eine Eigen- bzw. Fremdgefährdung vorliegen und alle Möglichkeiten zur
 
für eine Eigen- bzw. Fremdgefährdung vorliegen und alle Möglichkeiten zur
 
Vermeidung und Reduzierung dieser Gefährdung ausgeschöpft wurden.
 
Vermeidung und Reduzierung dieser Gefährdung ausgeschöpft wurden.

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