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So war es auch im Fall zweier Brüder. Der eine war kinderlos und errichtete ein Testament, in dem er die Tochter seiner verstorbenen Ehefrau zur Erbin einsetzte. Der andere Bruder, der ohne Testament gesetzlicher Erbe wäre, beantragte beim Nachlassgericht im Wege der Beweissicherung ein Gutachten zur Testierfähigkeit des Bruders einzuholen. Er hoffte, damit beweisen zu können, dass der Bruder nicht mehr testierfähig war, was ihm das Erbe gesichert hätte. So nicht, befand das OLG Frankfurt (Beschluss vom 27.01.1997 - 20 W 21/97). Das durch den Grundsatz der Testierfähigkeit anerkannte Interesse des Erblassers, nicht schon zu Lebzeiten über das Schicksal seines späteren Nachlasses Rechenschaft geben und sich von den potenziellen Erben nicht zu Tode prozessieren lassen zu müssen,sei höher zu bewerten als ein wie auch immer geartetes Interesse der potenziellen künftigen Nachlassbeteiligten. Der Antrag auf Einholung eines Gutachten sei deshalb nicht zulässig.
 
So war es auch im Fall zweier Brüder. Der eine war kinderlos und errichtete ein Testament, in dem er die Tochter seiner verstorbenen Ehefrau zur Erbin einsetzte. Der andere Bruder, der ohne Testament gesetzlicher Erbe wäre, beantragte beim Nachlassgericht im Wege der Beweissicherung ein Gutachten zur Testierfähigkeit des Bruders einzuholen. Er hoffte, damit beweisen zu können, dass der Bruder nicht mehr testierfähig war, was ihm das Erbe gesichert hätte. So nicht, befand das OLG Frankfurt (Beschluss vom 27.01.1997 - 20 W 21/97). Das durch den Grundsatz der Testierfähigkeit anerkannte Interesse des Erblassers, nicht schon zu Lebzeiten über das Schicksal seines späteren Nachlasses Rechenschaft geben und sich von den potenziellen Erben nicht zu Tode prozessieren lassen zu müssen,sei höher zu bewerten als ein wie auch immer geartetes Interesse der potenziellen künftigen Nachlassbeteiligten. Der Antrag auf Einholung eines Gutachten sei deshalb nicht zulässig.
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== Störungen der Testierfähigkeit ==
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Übergangene Erben machen häufig den Einwand geltend, der Erblasser sei wegen einer geistigen Störung nicht testierfähig gewesen, das ihnen nachteilige Testament sei daher ungültig. Grundsätzlich gilt: Jeder Mensch ist entweder testierfähig oder testierunfähig. Eine eingeschränkte Testierfähigkeit gibt es im Gegensatz zur beschränkten Geschäftsfähigkeit nicht. Die Testierfähigkeit ist im Wesentlichen an das Mindestalter von 16 Jahren und das Fehlen bestimmter körperlicher und geistiger Störungen geknüpft. Der Beitrag beginnt mit einem Überblick über mögliche Störungen (auch aus medizinischer Sicht) und schließt mit einer Checkliste.
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=== Faktische Testierunfähigkeit ===
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Faktische Testierunfähigkeit liegt dann vor, wenn ein an sich Testierfähiger sich nicht in den vom Gesetz vorgegebenen Formen Sprache und Schrift ausdrücken und daher kein Testament errichten kann. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Erblasser weder lesen, schreiben noch sprechen kann. Gemäß §§ 2247 Abs. 4, 2233 Abs. 2 und 3 BGB sind sämtliche Testamentsformen versperrt; seien es das eigenhändige Testament oder das notarielle Testament in Form der mündlichen Erklärung bzw. durch Übergabe einer Schrift!
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Hinweis: Nach dem Beschluss des BVerfG vom 19.1.99, NJW 1999, 1853 ist aber der generelle Ausschluss schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testierfähigkeit verfassungswidrig, sofern auf anderem Wege eine zuverlässige Verständigung mit dem Testator möglich ist (z.B. Taubstummensprache mit Hilfe einer hinzugezogenen Vertrauensperson).
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=== Störungen gem. § 2229 Abs. 4 BGB ===
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Testierunfähigkeit gem. § 2229 Abs. 4 BGB liegt vor, wenn der Erblasser auf Grund krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht erkennen kann
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- dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt es hat,
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- welche Tragweite seine Anordnungen bezüglich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Personen (Erben, Vermächtnisnehmer, enterbte Personen usw.) haben,
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- welche Gründe für und gegen die sittliche Berechtigung der Anordnung sprechen
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- seinen Willen nicht frei von Einflüssen Dritter bilden kann.
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=== Relative und partielle Testierunfähigkeit ===
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Durch die Theorien der relativen bzw. der partiellen Testierunfähigkeit ist versucht worden, den für die Testierfähigkeit geltenden Grundsatz „Ganz oder gar nicht“ zu durchbrechen.
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Nach der Theorie der relativen Testierfähigkeit kann der Erblasser die zur Errichtung eines einfachen Testaments nötige Testierfähigkeit besitzen, während ihm für ein komplexes Testament die Testierfähigkeit fehlt (z.B. Dittmann-Bengel-Reimann § 2229 BGB, Rz 12). Diese Auffassung würde im Prozess zu erheblichen Beweisschwierigkeiten führen und wird von der Rspr. und der herrschenden Lehre abgelehnt (BGH, 13.5.59, BGHZ 30, 113, 117; Staudinger-Baumann § 2229 BGB, Rz 12).
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Auch die so genannte partielle Testierunfähigkeit ist abzulehnen (BayObLG 31.1.91, NJW 92, 248). Krankhafte Störungen der Geistestätigkeit treten gelegentlich nur in bestimmten Lebensbereichen oder gegenüber bestimmten Personen auf. Wenn dadurch eine Testierunfähigkeit auftritt, so kann diese sich aber nur allgemein auf die Errichtung von Testamenten beziehen, nicht nur auf einen Teil des Testaments oder auf Testamente mit bestimmtem Inhalt. Die Testierfähigkeit ist auch in diesen Fällen entweder ganz oder gar nicht gegeben. Die Abgrenzung ist in der Praxis jedoch schwierig
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=== Beeinflussung durch Dritte ===
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Der Erblasser darf nicht auf Grund krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder einer Bewusstseinsstörung vom Einfluss Dritter so abhängig sein, dass er zur Bildung eines freien Willens gar nicht mehr in der Lage ist. Auch hier ist jedoch im Einzelfall die Abgrenzung schwierig. Hiervon hängt es jedoch in der Praxis ab, ob eine letztwillige Verfügung nichtig oder nur anfechtbar ist
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=== Testierunfähigkeit wegen geistiger Beeinträchtigung ===
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Ob ein letzter Wille unwirksam ist, hängt im Wesentlichen von drei Gruppen von Voraussetzungen ab, den materiell-rechtlichen, den medizinischen und den verfahrensrechtlichen.
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Gesetzliche Voraussetzungen
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Bei der Beurteilung der Frage, ob Testierunfähigkeit gemäß § 2249 Abs. 4 BGB vorliegt, ist die Frage entscheidend, ob der Testator auf Grund einer psychischen Störung außer Stande ist, einen freien Willen zu bilden und danach zu handeln. Drei Voraussetzungen müssen zugleich erfüllt sein, damit Testierunfähigkeit vorliegt:
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- Krankhafte Störung der Geistestätigkeit bzw. Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung,
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- Unfähigkeit, die Bedeutung der Willenserklärung einzusehen (kognitives Element) und nach dieser Einsicht zu handeln (voluntatives Element),
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- Kausalität, d.h. die fehlende Einsichtsfähigkeit und die fehlende Freiheit der Willensbestimmung müssen auf der geistigen Störung beruhen.
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Ob die Kriterien erfüllt sind, ist eine Rechtsfrage, für die Erkenntnisse der Medizin zwar von großer Bedeutung, letztlich aber nicht ausschlaggebend sind (Dittmann-Bengel-Reimann § 2229 BGB Rz 11). Eine Bindung des Gerichts an die Einschätzung eines Sachverständigen besteht daher nicht (BayObLG 27.3.86, FamRZ 85, 742, 743).
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Medizinische Voraussetzungen
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Die krankhafte Störung der Geistestätigkeit und die Geistesschwäche unterscheiden sich nur graduell, d.h., die Geistesschwäche ist eine minderschwere Störung der Geistestätigkeit (Staudinger-Baumann § 2229 Rz. 17). Die Geistesschwäche ist ihrer Natur nach aber in der Regel dauerhaft, während die krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorübergehend sein kann. Im Anhang sind die wichtigsten Erscheinungsbilder von psychischen Erkrankungen wie Demenzen, schizophrene Psychosen und manisch-depressive Zustände aufgeführt, die die Testierfähigkeit beeinträchtigen. Zu beachten ist, dass die Diagnose einer solchen Erkrankung nicht automatisch zur Testierunfähigikeit führt.
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Verfahrensrechtliche Voraussetzungen
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Tauchen Zweifel an der Testierfähigkeit auf, so sind die nachfolgenden Verfahrenspunkte zu beachten.
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Abwehr von Zweifeln an der Testierfähigkeit
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Wird die Gültigkeit des Testaments wegen angeblicher Testierunfähigkeit bezweifelt, so kann der eingesetzte Erbe auf Feststellung seines Erbrechts klagen (§ 256 ZPO). Dem erforderlichen Feststellungsinteresse steht nicht entgegen, dass gegenüber Banken und Grundbuchamt das Erbrecht normalerweise durch Vorlage des Erbscheins nachgewiesen wird. Unzulässig ist aber die Feststellungsklage von Dritten, die noch zu Lebzeiten des Erblassers dessen Testierfähigkeit bzw. Testierunfähigkeit feststellen lassen wollen. Ebenso unzulässig ist ein selbstständiges Beweisverfahren mit diesem Inhalt. Denn die bloß tatsächliche Aussicht, Erbe zu werden, ist noch keine schutzwürdige Rechtsposition, außerdem ist das Interesse des zukünftigen Erblassers, vor solchen Prozessen verschont zu werden, vorrangig (OLG Frankfurt 30.1.97, NJW-RR 97, 581).
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Zweifel des Nachlassgerichtes
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Über die Erteilung des Erbscheins entscheidet das örtlich zuständige Nachlassgericht im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 2353 BGB, 72 ff. FGG). Die Entscheidung des Gericht kann vom LG als Beschwerdegericht und vom OLG als Gericht der weiteren Beschwerde überprüft werden (§§ 19, 27, 28 FGG). Gemäß §§ 2358 BGB, 12, 15 FGG hat das Nachlassgericht von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Art und Umfang der Ermittlungen richten sich nach den Anforderungen des Einzelfalles, wobei der Richter an den Vortrag und die Beweisangebote der Parteien nicht gebunden ist. Da die Testierfähigkeit die Regel und die Testierunfähigkeit die Ausnahme ist, muss nur konkreten Hinweisen auf die Testierunfähigkeit nachgegangen werden:
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In einem vom OLG Hamm (12.11.96, FamRZ 97, 1026) entschiedenen Fall genügte die allg. Behauptung, die Erblasserin habe starke Medikamente eingenommen nicht, um konkrete Zweifel an der Testierfähigkeit hervorzurufen. Das Gericht musste auf Grund dieser Behauptungen keine weiteren Ermittlungen einleiten.
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Grundsätze für die Behandlung von Gutachten
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Solange die Testierunfähigkeit nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststeht, muss es von der Testierfähigkeit als Regelfall ausgehen. Kommt das Gericht auf Grund seiner Beweiserhebung zu der Ansicht, dass nicht genügend konkret für eine Testierunfähigkeit sprechende Tatsachen nachgewiesen sind, muss es keinen Sachverständigen beauftragen. Es kann auf Grund eigener Sachkunde von der Testierfähigkeit ausgehen (Bay0bLG 5.7.90, NJW-RR 90, 1419, 1420).
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Umgekehrt kann die Testierunfähigkeit nur auf Grund eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden. Der vom Gericht zu bestellende Sachverständige muss Neurologe oder Psychiater sein (BayObLG 5.7.90, NJW-RR 90, 1419). Das Gericht kann von der Beurteilung des Sachverständigen abweichen, muss sich aber mit dem Gutachten sorgfältig auseinander setzen. Widersprechende Gutachten zwingen nicht automatisch zur Beauftragung eines Obergutachtens. Ein solches ist nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nur bei besonders schwierigen Fällen, gravierenden Mängeln des Gutachtens oder überlegenen Forschungsmitteln des Obergutachters einzuholen.
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Wenn in einem Privatgutachten Einwände gegen das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen erhoben werden, muss das Gericht diesen nachgehen und ggf. den Sachverhalt weiter aufklären. Es kann den Sachverständigen zur schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens auffordern, ihn zur weiteren mündlichen Befragung laden oder ein zusätzliches Gutachten einholen. Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen (OLG Frankfurt 22.12.97, NJW-RR 98, 870).
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Ein Sonderfall ist das undatierte Testament. Steht die Testierunfähigkeit des Erblassers zu irgendeinem Zeitpunkt fest, nicht aber wann er das Testament errichtet hat, so ist dieses nach § 2247 V BGB als unwirksam anzusehen (BayObLG 11.4.96, NJW-RR 96, 1160, 1161).
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==Erbvertrag==
 
==Erbvertrag==

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