Sterilisation: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine Sterilisation ist nicht gerechtfertigt, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, ohne Maßnahmen zur Empfängnisverhütung werde es zu einer Schwangerschaft kommen. Mit einer Schwangerschaft muß den Umständen nach ernstlich zu rechnen sein. Die nur abstrakte Möglichkeit einer Schwangerschaft reicht nicht aus.
 
Eine Sterilisation ist nicht gerechtfertigt, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, ohne Maßnahmen zur Empfängnisverhütung werde es zu einer Schwangerschaft kommen. Mit einer Schwangerschaft muß den Umständen nach ernstlich zu rechnen sein. Die nur abstrakte Möglichkeit einer Schwangerschaft reicht nicht aus.
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'''[http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Art=en&sid=1417afcfa2e912767d411f96ebf55d01&nr=9894&pos=0&anz=121 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7.2.2008, 19 Wx 44/07:]'''
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Die Fixierung einer Betroffenen zur zwangsweisen Verabreichung einer Depotspritze zur Verhütung einer Schwangerschaft ist nicht genehmigungsfähig.
  
 
==Literatur==
 
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Version vom 10. September 2008, 14:17 Uhr

Sterilisation.jpg

Allgemeines

Unter einer Sterilisation versteht man einen medizinischen Eingriff, der einen Menschen unfruchtbar (d. h. unfähig zur Fortpflanzung) macht. Beim Mann erfolgt dies meistens durch Abbinden (Ligatur) beider Samenleiter, Vasektomie genannt. Bei der Frau erfolgt dies meistens durch eine Ligatur der Eileiter (Tuben), der Entfernung eines Stücks der Eileiter oder durch die Entfernung des Fransentrichters (Fimbrientrichter). Um eine Eileiterschwangerschaft zu verhindern, soll außerdem der Ansatz der Tuben an die Gebärmutter (Uterus) elektrisch verödet werden.

Beide Methoden sind zuverlässige Methoden der endgültigen Empfängnisverhütung. Beim Mann wird sie gewöhnlich ambulant vom Urologen in einer örtlichen Betäubung (Lokalanästhesie) durchgeführt und dauert ungefähr 30-60 Minuten. Bei der Frau ist der Eingriff komplizierter; er wird vom Gynäkologen durchgeführt und erfordert einen operativen Eingriff mit einer Rückenmarksnarkose oder einer Vollnarkose. Sterilisationen der Frau finden heute in der Regel ambulant in geeigneten tageschirurgischen Einrichtungen statt.

Sterilisation Betreuter

Allgemeines

Die Sterilisation erfordert wie jede andere ärztliche Maßnahme die Einwilligung des Patienten (§ 223, § 228 StGB). Solange ein Patient die notwendige Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzt (also Folgen und Tragweite der Sterilisation zu erfassen vermag), kann nur er selbst, nicht aber ein gesetzlicher Vertreter einwilligen.

Die Bestimmung gilt nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer (BT-Drucks. 11/4528 S. 179). Wegen der Schwere des Eingriffs in die körperliche Integrität und die gesamte Lebensführung knüpft § 1905 BGB die Einwilligung des hierfür besonders bestellten Betreuers in die Sterilisation des selbst nicht einwilligungsfähigen Betreuten und die Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung an enge Voraussetzungen, die ausschließlich auf die Interessen des Betreuten abstellen - es gibt also keine Sterilisation im Interesse der Allgemeinheit oder von Verwandten (BT-Drucks. 11/4528 S. 75) - und kumulativ erfüllt sein müssen. Eine Sterilisation ist nicht gerechtfertigt, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, ohne Maßnahmen zur Empfängnisverhütung werde es zu einer Schwangerschaft kommen. Mit einer Schwangerschaft muß den Umständen nach ernsthaft zu rechnen sein. Die nur abstrakte Möglichkeit einer Schwangerschaft reicht nicht aus. (vgl. BayObLGZ 1997, 49/51 = NJW-RR 1997, 578 = FamRZ 1997, 702 = FGPrax 1997, 65). Nur dann kann der Betreuer in die Sterilisation einwilligen und das Vormundschaftsgericht die hierfür erforderliche Genehmigung erteilen.

Bestellung eines Sterilisationsbetreuers

Ist bereits ein Betreuer bestellt, muss für die Einwilligung in eine Sterilisation stets und ohne Ausnahme ein besonderer Betreuer mit nur diesem einen Aufgabenkreis bestellt werden (§ 1899 Abs. 2 BGB).

Einwilligung durch gesetzliche Vertreter

Eine besonders schwerwiegende Entscheidung stellt die Einwilligung in eine Sterilisation dar, weil sie engstens mit der Persönlichkeit des Betroffenen verbunden ist und seine Lebensgestaltung unwiderrufbar in einem sehr wichtigen Punkt festlegt. In die Sterilisation eines Kindes können die Eltern (oder der Vormund) nicht einwilligen, siehe § 1631 c BGB. Eine Sterilisation Minderjähriger ist somit unzulässig (§ 1631c BGB), diejenige eines Volljährigen nur unter den strengen Einschränkungen des § 1905 BGB möglich.

Ein volljähriger einwiligungsfähiger Betreuter kann in seine Sterilisation nur selbst einwilligen, die fehlende Einwilligung ist nicht ersetzbar. Damit ein rechtlicher Betreuer (Sterilisationsbetreuer) (nach § 1896 BGB) darüber entscheiden kann, muss hier neben weiteren Voraussetzungen stets eine dauerhafte Einwilligungsunfähigkeit vorliegen. Die Sterilisation darf nicht gegen den natürlichen Willen der betreuten Person erfolgen. Sie ist nachrangig gegenüber allen anderen Methoden der Empfängnisverhütung.

Der Betreuer kann in die Sterilisation nur einwilligen, wenn ihr nicht der Wille, es genügt der natürliche Wille, des Betroffenen entgegensteht, der sich gegen die Sterilisation als solche richten muss (vgl. OLG Hamm FGPrax 2000, 107/109).

Es muss weiter anzunehmen sein, dass es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft (der Betreuten bzw. der Partnerin des Betreuten) kommen würde und diese Schwangerschaft oder die Folgen eine schwere körperliche oder seelische Gefährdung der betreuten Person erwarten lässt. Es muss anzunehmen sein, dass es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen würde (§ 1905 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB). Dabei muss die Schwangerschaftserwartung konkret und ernstlich sein. Ein besonderer Grad an Wahrscheinlichkeit ist nicht gefordert. Vielmehr genügt, dass aufgrund der sexuellen Aktivität des fortpflanzungsfähigen Betreuten mit einer Schwangerschaft zu rechnen ist.

Nicht zulässig ist eine "vorsorgliche" oder "vorbeugende" Sterilisation wegen der lediglich abstrakten Möglichkeit einer Schwangerschaft, wie etwa bei einer gemeinsamen Unterbringung des/der Betreuten mit Personen des jeweils anderen Geschlechts in einem Heim, aufgrund der allgemeinen Erwartung, dass eines Tages sexuelle Kontakte stattfinden, inbesondere Partnerschaften eingegangen werden (BayObLG BtPrax 2001, 204/205 m.w.N.)

Auch Maßnahmen im Rahmen eines Sorgerechtsentzuges nach § 1666 BGB (Kindeswohlgefährdung) nach Geburt des Kindes zählen hierzu.

Für die Sterilisationseinwilligung muss speziell für diese Maßnahme immer ein separater Betreuer bestellt werden (§ 1899 Abs. 2 BGB), wobei die Betreuungsbehörde selbst (oder ein Betreuungsverein als solcher) nicht für diese Aufgabe zum Betreuer bestellt werden kann (§ 1900 Abs. 5 BGB).

Der Sterilisationsbetreuer trägt wegen der weit reichenden Folgen des Eingriffs eine besondere Verantwortung (Bt-Drs. 11/4528, S. 111). Er hat nach Durchführung des gerichtlichen Genehmigungsverfahrens (§ 69d FGG) eigenständig zu prüfen, ob die Sterilisation tatsächlich durchgeführt werden soll. Angesichts der Problematik der Sterilisationsregelung dürften Fallgespräche mit Betreuerkollegen im angemessenen Umfang vergütungsfähig sein: LG Wuppertal FamRZ 2002, 1657, als Ausnahme: OLG Stuttgart vom 6.11.2000, 8 WF 91/99, Die Justiz 2002, 411.

Zum Umfang des Aufgabenkreises Sterilisation zählen alle im Zusammenhang mit der Sterilisation stehenden Aufgaben, z.B. Informationsgespräche mit dem Betreuten, den Ärzten und anderen nahestehenden Personen sowie ggf. der Abschluss eines Behandlungsvertrags zur Durchführung der Sterilisation sowie die Einholung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung und Erteilung der Einwilligung bzw. deren Verweigerung (vgl. Damrau/Zimmermann, § 1899 Rn. 14).

Gerichtliches Verfahren der Sterilisationsgenehmigung

Eine betreuungsrechtliche Entscheidung zur Sterilisation muss stets vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden (§ 1905 Abs. 2 BGB, § 69d FGG).

Es ist stets ein Verfahrenspfleger für das Genehmigungsverfahren zu bestellen. Es sind vor der gerichtlichen Genehmigung Sachverständigengutachten einzuholen. Diese haben folgende Aspekte zu berücksichtigen:

  • Psychologischer Aspekt: Einwilligungsfähigkeit? Auswirkungen einer eventuellen Schwangerschaft?
  • Sozialer Aspekt: Ausbildungsstand, finanzielle Verhältnisse, Wohnung, Gesamtsituation.
  • Sonderpädagogischer Aspekt: Lebensperspektive der/ des Betroffenen.
  • Sexualpädagogischer Aspekt: Kann dem/der Betroffenen der zuverlässige Gebrauch von Verhütungsmitteln beigebracht werden?

Mindestens zwei Gutachter sind einzuschalten; sie müssen den/die Betroffene vor Erstattung des Gutachtens persönlich untersuchen oder befragen, sie dürfen nicht personengleich mit dem die Sterilisation ausführenden Arzt sein. Die betroffene Person muss vom Richter persönlich angehört werden (§ 69d Abs. 3 Satz 1 FGG).

Die Betreuungsbehörde und die Ehegatten, Eltern, Pflegeeltern, Kinder, Vertrauenspersonen sollen (mündlich oder schriftlich) angehört werden (§ 69d Abs. 3, § 68a FGG).

Der Beschluss des Richters, durch den die Einwilligung in die Sterilisation genehmigt wird, ist mit Gründen dem Betroffenen selbst bekanntzumachen. Wirksam wird die Genehmigung mit der Bekanntmachung an den Verfahrenspfleger und den Sterilisationsbetreuer (§ 69a Abs. 4 FGG), d.h. mit dem späteren Zeitpunkt. Von besonderer Wichtigkeit ist die Bekanntmachung der Entscheidung an den Sterilisationsbetreuer und an den Verfahrenspfleger bzw. Verfahrensbevollmächtigten, da die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers erst mit diesen Bekanntmachungen wirksam wird (§ 69a Abs. 4 FGG). Gegen den Beschluss kann das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt werden.

Sind die Zeitpunkte der Bekanntmachungen an den Sterilisationsbetreuer und Verfahrenspfleger/-bevollmächtigten unterschiedlich, hängt die Wirksamkeit von der letzten Bekanntmachung ab (OLG Düsseldorf FGPrax 1996, 22).ll) Erst zwei Wochen später darf die Sterilisation frühestens durchgeführt werden (§ 1905 Abs. 2 Satz 2 BGB). Der Methode ist der Vorzug zu geben, die eine Refertilisierung zulässt.

Im Jahre 2005 (2004) wurden in der Bundesrepublik Deutschland 296 (187) Genehmigungsanträge nach § 1905 Abs. 2 BGB gestellt, davon wurden 262 (154) bewilligt (Quelle: Bundesministerium der Justiz, Sondererhebung Verfahren nach dem Betreuungsgesetz).

Rechtsprechung

LG Hildesheim, 5 T 879/96, Beschluss vom 4. Oktober 1996:

Der für die Entscheidung über eine Zustimmung zur Sterilisation bestellte Betreuer kann nicht mit der Begründung entlassen werden, er habe nach Überprüfung der Voraussetzungen einen Antrag auf Genehmigung der Sterilisation nicht gestellt.

BayObLG, 3Z BR 281/96 = BayObLGZ 1997 Nr. 5, Beschluss vom 15. Januar 1997:

Eine Sterilisation ist nicht gerechtfertigt, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, ohne Maßnahmen zur Empfängnisverhütung werde es zu einer Schwangerschaft kommen. Mit einer Schwangerschaft muß den Umständen nach ernstlich zu rechnen sein. Die nur abstrakte Möglichkeit einer Schwangerschaft reicht nicht aus.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7.2.2008, 19 Wx 44/07:

Die Fixierung einer Betroffenen zur zwangsweisen Verabreichung einer Depotspritze zur Verhütung einer Schwangerschaft ist nicht genehmigungsfähig.

Literatur

Bücher

Zeitschriftenbeiträge

  • Braun pp: Zur Rechtslage bei der Sterilisation geistig behinderter Menschen; DMW (Dt. med. Wochenschrift) 2003; 1412
  • Coester, Michael: Die sorgerechtliche Indikation bei der Sterilisation behinderter Volljähriger, ZFJ 89, 350
  • Finger, Peter: Die Sterilisation geistig Behinderter; DAVorm 89, 449
  • ders.: Zur Einwilligung des Betreuers in die Sterilisation eines geistig Behinderten, NDV 89,87
  • Gonsbach, Wolf: Sterilisation ohne Kontrolle; ZFVS 89, 12
  • Kuper, Bernd-Otto: Vormundschaftsreform und Sterilisation Behinderter; Theorie und Praxis soz. Arbeit 89, 97
  • Pieroth, Bodo: Die Verfassungsgemäßheit der Sterilisation Einwilligungsunfähiger; FamRZ 90, 117
  • Pohlmann, Rüdiger: Sexuelle Aufklärung geistig behinderter Menschen, BtPrax 95, 171
  • Ratzel: Sterilisation geistig Behinderter; Frauenarzt 2001/11, 1212
  • Reis, Hans: Sterilisation bei mangelnder Einsichtsfähigkeit; ZRP 88, 318
  • Wunder, Michael: Betreuungsgesetz verabschiedet-Sterilisation ohne Einwilligung legalisiert; Soziale Psychiatrie 90, Nr51, 27
  • ders.: Sterilisation ohne Einwilligung ist legalisiert; Sozialmagazin 11/90, 36
  • Wüstenberg: Die Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts des Betreuten, BtPrax 2006, 12-15

wissenschaftliche Arbeiten


Weblinks



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