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Ob bei einem Volljährigen (egal, ob dieser einen Betreuer hat oder nicht) Geschäftsunfähigkeit nach {{Zitat de §|104|bgb}} Nr. 2 BGB vorliegt, kann im Streitfall verbindlich nur im einem gerichtlichen Streitverfahren durch einen Richter getroffen werden. Entsprechende Aussagen in einem medizinischen [[Sachverständigengutachten]] oder einem Attest können daher nur ein Hinweis sein.
 
Ob bei einem Volljährigen (egal, ob dieser einen Betreuer hat oder nicht) Geschäftsunfähigkeit nach {{Zitat de §|104|bgb}} Nr. 2 BGB vorliegt, kann im Streitfall verbindlich nur im einem gerichtlichen Streitverfahren durch einen Richter getroffen werden. Entsprechende Aussagen in einem medizinischen [[Sachverständigengutachten]] oder einem Attest können daher nur ein Hinweis sein.
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Rechtsprechung:
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'''OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 12.01.2018 – 8 U 175/17
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# Zweifel iSd § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH BeckRS 2014, 14141).
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# Eine krankhafte Störung iSd § 104 Nr. 2 BGB muss die freie Willensbestimmung ausschließen, so dass der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (BGH BeckRS 1984, 31071102).
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# Bei einem Volljährigen ist die Geschäftsfähigkeit als Regel zu unterstellen und ihr Fehlen die Ausnahme; wer sich auf Geschäftsunfähigkeit beruft, hat ihre Voraussetzungen zu beweisen.
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'''OLG Brandenburg, Urteil vom 23.07.2020, 5 U 158/19''' [https://btdirekt.de/betreuungs-sozialrecht/ein-beitrag-zum-thema-geschaeftsfaehigkeit-rueckwaertsprognose/ Kommentar zu diesem Urteil]
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# Der Nachweis einer Geschäftsunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit (hier: Notartermin im Rahmen der Beurkundung eines Schenkungsvertrages) ist im Wege einer "Rückwärtsprognose" zu erbringen.
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# Dabei ist die Behauptung einer Geschäftsunfähigkeit durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu klären, in dessen Rahmen die Aussagen von Zeugen, aber auch die Befunde eines Gutachtens für das Betreuungsgericht als Anknüpfungstatsachen für eine Bewertung herangezogen werden können.
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# Das Landgericht ist nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht verpflichtet, von Amts wegen ein [[Sachverständigengutachten]] einzuholen; die Anordnung steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen. Es obliegt in erster Linie der beweisbelasteten Partei, selbst darüber zu entscheiden, welche Beweismittel angeboten werden.
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# Da die Geschäftsfähigkeit den Regelfall darstellt, trifft für das Vorliegen der Geschäftsunfähigkeit denjenigen die volle Darlegungs- und Beweislast, der sich hierauf beruft.
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'''OLG München, Beschluss v. 30.04.2020 – 13 W 463/20'''
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Grundsätzlich muss derjenige, der sich auf die Geschäftsunfähigkeit beruft, diese dartun und beweisen. Anders ist dies aber dann, wenn die Geschäftsunfähigkeit nachgewiesen oder unstreitig ist. Dann muss derjenige, der sich auf die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts infolge eines lichten Moments beruft, diesen darlegen und beweisen.
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'''BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 - XII ZB 106/20'''
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# Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701).
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# Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei ist die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat.
    
==Auswirkungen auf Verträge==
 
==Auswirkungen auf Verträge==
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Sind zum Zeitpunkt der Erteilung einer Vorsorgevollmacht für die soziale Umgebung des Vollmachtgebers einschließlich seiner Hausärztin keine geistigen Beeinträchtigungen bei ihm erkennbar, unterliegt die rückschauende Diagnose der Geschäftsunfähigkeit durch einen [[Sachverständigengutachten|Sachverständigen]], der den Betroffenen erstmals nach mehr als vier Monaten seit der Vollmachterteilung untersucht, strengen Anforderungen. Eine "graduell fortschreitende dementielle Erkrankung" nach Einlieferung in eine psychiatrische Klinik wegen akut aufgetretener Verwirrtheit und Orientierungsstörungen lässt für sich genommen keinen hinreichenden Schluss auf den Zustand zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung zu.
 
Sind zum Zeitpunkt der Erteilung einer Vorsorgevollmacht für die soziale Umgebung des Vollmachtgebers einschließlich seiner Hausärztin keine geistigen Beeinträchtigungen bei ihm erkennbar, unterliegt die rückschauende Diagnose der Geschäftsunfähigkeit durch einen [[Sachverständigengutachten|Sachverständigen]], der den Betroffenen erstmals nach mehr als vier Monaten seit der Vollmachterteilung untersucht, strengen Anforderungen. Eine "graduell fortschreitende dementielle Erkrankung" nach Einlieferung in eine psychiatrische Klinik wegen akut aufgetretener Verwirrtheit und Orientierungsstörungen lässt für sich genommen keinen hinreichenden Schluss auf den Zustand zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung zu.
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'''BGH, Urteil vom 21. April 2015 - XI ZR 234/14:'''
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Die Zahlung der Bank an eine Person, für die ein Betreuer bestellt und ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet ist, hat keine Erfüllungswirkung. Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch der Bank gegen den Betreuten wegen der unterlassenen Mitteilung des Einwilligungsvorbehaltes oder der Abhebung des Geldes ohne Zustimmung des Betreuers scheidet mangels Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB aus. Der Betreute war nicht verpflichtet, die Bank ungefragt über die bestehende Betreuung oder den angeordneten Einwilligungsvorbehalt aufzuklären. Er ist als unter Einwilligungsvorbehalt stehender Betreuter auch in diesem Zusammenhang von Gesetzes wegen wie ein beschränkt Geschäftsfähiger zu behandeln. Ein solcher haftet nicht aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen, wenn er seine Minderjährigkeit verschweigt. Wegen des Fehlens eines Gutglaubensschutzes im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit besteht grundsätzlich keine Pflicht zur ungefragten Aufklärung des Vertragspartners über die fehlende Geschäftsfähigkeit
    
==Auswirkungen auf Zustellungen und Verjährungen==
 
==Auswirkungen auf Zustellungen und Verjährungen==
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Ist ein Geschäftsunfähiger ohne [[gesetzlicher Vertreter|gesetzlichen Vertreter]], verjähren auch keine Forderungen, egal ob er den Anspruch hat oder sich der Anspruch gegen ihn richtet, § 210 BGB. Erst mit Wiedereintritt der Geschäftsfähigkeit oder mit Bestellung eines gesetzlichen Vertreters, insbesondere eines Betreuers mit passendem [[Aufgabenkreis]], hier meist [[Vermögenssorge]], kann die Verjährungsfrist enden (meist 6 Monate nach Wegfall des Vertretungsmangels]].
 
Ist ein Geschäftsunfähiger ohne [[gesetzlicher Vertreter|gesetzlichen Vertreter]], verjähren auch keine Forderungen, egal ob er den Anspruch hat oder sich der Anspruch gegen ihn richtet, § 210 BGB. Erst mit Wiedereintritt der Geschäftsfähigkeit oder mit Bestellung eines gesetzlichen Vertreters, insbesondere eines Betreuers mit passendem [[Aufgabenkreis]], hier meist [[Vermögenssorge]], kann die Verjährungsfrist enden (meist 6 Monate nach Wegfall des Vertretungsmangels]].
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'''OLG Schleswig, Urteil vom 28.04.2016, 5 U 36/15''':
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'''OLG Schleswig, Urteil vom 28.04.2016, 5 U 36/15''', FamRZ 2016, 1972
 
   
 
   
 
# Informationspflichten gemäß § 676b Abs. 2 Satz 2 BGB kann die Bank Geschäftsunfähigen gegenüber nur dadurch erfüllen, dass sie die entsprechende Information im Sinne von § 131 Abs. 1 BGB an den gesetzlichen Vertreter richtet. Die damit einhergehende fehlende Rechtssicherheit bei Rechtsgeschäften mit unerkannt Geschäftsunfähigen entspricht der grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Interessen der aufgrund persönlicher Eigenschaften typischerweise schwächeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer am rechtsgeschäftlichen Verkehr.
 
# Informationspflichten gemäß § 676b Abs. 2 Satz 2 BGB kann die Bank Geschäftsunfähigen gegenüber nur dadurch erfüllen, dass sie die entsprechende Information im Sinne von § 131 Abs. 1 BGB an den gesetzlichen Vertreter richtet. Die damit einhergehende fehlende Rechtssicherheit bei Rechtsgeschäften mit unerkannt Geschäftsunfähigen entspricht der grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Interessen der aufgrund persönlicher Eigenschaften typischerweise schwächeren Teilnehmerinnen und Teilnehmer am rechtsgeschäftlichen Verkehr.
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* [http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3214069020/internetsevon-21 Schwimann: Die Institution der Geschäftsfähigkeit ], ISBN 3214069020
 
* [http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3214069020/internetsevon-21 Schwimann: Die Institution der Geschäftsfähigkeit ], ISBN 3214069020
 
* [http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3503060251/internetsevon-21  Spring: Geschäftsfähigkeit und Verfügungsberechtigung bei Grundstücksverfügungen  ], ISBN 3503060251
 
* [http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3503060251/internetsevon-21  Spring: Geschäftsfähigkeit und Verfügungsberechtigung bei Grundstücksverfügungen  ], ISBN 3503060251
*[http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3170293788/internetsevon-21Wetterling: Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen: Ein Leitfaden zur Begutachtung der Geschäfts- und Testierfähigkeit, ISBN 3170293788
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*[http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3170293788/internetsevon-21 Wetterling: Freier Wille und neuropsychiatrische Erkrankungen: Ein Leitfaden zur Begutachtung der Geschäfts- und Testierfähigkeit], ISBN 3170293788
    
===Zeitschriftenbeiträge===
 
===Zeitschriftenbeiträge===
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*Heim: Gesetzgeberische Modifizierung der Auswirkungen der Geschäftsunfähigkeit Volljähriger beim Vertragsschluss, JuS 2003, 141
 
*Heim: Gesetzgeberische Modifizierung der Auswirkungen der Geschäftsunfähigkeit Volljähriger beim Vertragsschluss, JuS 2003, 141
 
*Hoffmann: Die Saldotheorie im Bereicherungsrecht, Jura 1997, 416
 
*Hoffmann: Die Saldotheorie im Bereicherungsrecht, Jura 1997, 416
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*Humm: Relative Geschäfts- und Testierunfähigkeit; ZEV 2022, 253
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*[https://dopus.uni-speyer.de/frontdoor/deliver/index/docId/1500/file/1500_Janda_FamRZ_2013-1_zivilrechtl_Handlungsf.pdf Janda, Grundlagen der Einschränkung der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit; FamRZ 2013, 16 (PDF)]
 
*Joussen: Die Rechtsgeschäfte des Geschäftsunfähigender neue § 105 a BGB, ZGS 2003, 101.
 
*Joussen: Die Rechtsgeschäfte des Geschäftsunfähigender neue § 105 a BGB, ZGS 2003, 101.
 
*Jurgeleit:  Der geschäftsunfähige Betreute unter [[Einwilligungsvorbehalt]]; Rpfleger 1995, 282
 
*Jurgeleit:  Der geschäftsunfähige Betreute unter [[Einwilligungsvorbehalt]]; Rpfleger 1995, 282
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*Stürner: Der lediglich rechtliche Vorteil“; AcP 173 (1973), 402
 
*Stürner: Der lediglich rechtliche Vorteil“; AcP 173 (1973), 402
 
*Ulrici: Alltagsgeschäfte volljähriger Geschäftsunfähiger, Jura 2003, 520
 
*Ulrici: Alltagsgeschäfte volljähriger Geschäftsunfähiger, Jura 2003, 520
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*Wedemann: Die Rechtsfolgen der Geschäftsunfähigkeit; AcP 2009, 668
 
*Wesche: Geschäftsfähigkeit und Betreuung; Handeln im Spannungsfeld der Ungewissheit; Rpfleger 2008, 449
 
*Wesche: Geschäftsfähigkeit und Betreuung; Handeln im Spannungsfeld der Ungewissheit; Rpfleger 2008, 449
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* Wetterling, Zur Geschäfts- und Testierfähigkeit bei Depression, ErbR 2022, 285
 
*Wilhelm: Das Merkmal lediglich rechtlich vorteilhaft bei Verfügungen über Grundstücksrechte, NJW 2006, 2353
 
*Wilhelm: Das Merkmal lediglich rechtlich vorteilhaft bei Verfügungen über Grundstücksrechte, NJW 2006, 2353
 
*Wüstenberg: Der Betreute und der kraft gerichtlicher Anordnung vertretene Handlungsunfähige im Verwaltungsverfahren; JURA 2002, 660  
 
*Wüstenberg: Der Betreute und der kraft gerichtlicher Anordnung vertretene Handlungsunfähige im Verwaltungsverfahren; JURA 2002, 660  

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