Änderungen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
11.906 Bytes hinzugefügt ,  09:35, 1. Apr. 2023
Zeile 3: Zeile 3:  
[[Bild:Neue_Betreuungen1995_2007.gif|thumb|300px|right|Anteile bei neuen Betreuungen 1995 - 2007]]
 
[[Bild:Neue_Betreuungen1995_2007.gif|thumb|300px|right|Anteile bei neuen Betreuungen 1995 - 2007]]
   −
Die Entscheidung über die [[Betreuerbestellung|Bestellung eines Betreuers]] erfolgt durch das Betreuungsgericht. Es hat dabei zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen ({{Zitat de §|1896|bgb}} BGB) gegeben sind.
+
Die Entscheidung über die [[Betreuerbestellung|Bestellung eines Betreuers]] erfolgt durch das Betreuungsgericht. Es hat dabei zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 1814 BGB) gegeben sind.
 
===Vorgehensweise===
 
===Vorgehensweise===
Kann ein [[wikipedia:de:Volljährigkeit|Volljähriger]] auf Grund einer [[wikipedia:de:psychische Erkrankung|psychischen]] [[wikipedia:de:Krankheit|Krankheit]] oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen [[wikipedia:de:Behinderung|Behinderung]] seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das [[Vormundschaftsgericht]] (Teil des [[wikipedia:de:Amtsgericht|Amtsgerichtes]]) für ihn auf seinen [[wikipedia:de:Antrag|Antrag]] oder [[wikipedia:de:von Amts wegen|von Amts wegen]] einen [[Betreuerbestellung|Betreuer]].
+
Kann ein [[wikipedia:de:Volljährigkeit|Volljähriger]] auf Grund einer [[wikipedia:de:psychische Erkrankung|psychischen]] [[wikipedia:de:Krankheit|Krankheit]] oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen [[wikipedia:de:Behinderung|Behinderung]] seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das [[Betreuungsgericht]] (Teil des [[wikipedia:de:Amtsgericht|Amtsgerichtes]]) für ihn auf seinen [[wikipedia:de:Antrag|Antrag]] oder [[wikipedia:de:von Amts wegen|von Amts wegen]] einen [[Betreuerbestellung|Betreuer]].
Im württembergischen Teil von Baden-Württemberg ist für die [[Betreuerbestellung]] der [[wikipedia:de:Notar|Notar]] nach Maßgabe von {{Zitat-dej|§|37|LFGG}} des [[wikipedia:de:Landesrecht|Landesgesetzes]] Baden-Württemberg über die [[wikipedia:de:freiwillige Gerichtsbarkeit|freiwill. Gerichtsbarkeit]]) zuständig.
      
===Volljährigkeit===
 
===Volljährigkeit===
Nur ein Volljähriger, also jemand, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann einen Betreuer erhalten. Ausnahme: nach {{Zitat de §|1908|bgb}} BGB ist bei einem 17jährigen die vorsorgliche [[Betreuerbestellung]] möglich, diese wird aber erst mit Erreichen der Volljährigkeit rechtswirksam. Die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen, der die u.g. (medizinischen) Voraussetzungen erfüllt, obliegt weiterhin den Eltern bzw. im Falle eines [[wikipedia:de:Sorgerecht|Sorgerechtsentzugs]] (oder Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge) einem [[wikipedia:de:Vormundschaft|Vormund]].
+
Nur ein Volljähriger, also jemand, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann einen Betreuer erhalten. Ausnahme: nach § 1814 Abs. 5 BGB ist bei einem 17jährigen die vorsorgliche [[Betreuerbestellung]] möglich, diese wird aber erst mit Erreichen der Volljährigkeit rechtswirksam. Die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen, der die u.g. (medizinischen) Voraussetzungen erfüllt, obliegt weiterhin den Eltern bzw. im Falle eines [[wikipedia:de:Sorgerecht|Sorgerechtsentzugs]] (oder Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge) einem [[wikipedia:de:Vormundschaft|Vormund]].
    
=== Medizinische Diagnose Krankheit oder Behinderung ===
 
=== Medizinische Diagnose Krankheit oder Behinderung ===
Zeile 33: Zeile 32:  
in Frage, wenn sie die freie Willensbildung beeinträchtigen. Da der eigentliche Willensbildungsprozess
 
in Frage, wenn sie die freie Willensbildung beeinträchtigen. Da der eigentliche Willensbildungsprozess
 
durch rein körperliche Behinderungen nicht beeinträchtigt sein kann, ist folglich eine Einschränkung
 
durch rein körperliche Behinderungen nicht beeinträchtigt sein kann, ist folglich eine Einschränkung
der Kommunikationsfähigkeit der einzig relevante Ansatz, aber auch nur dann, wenn er
+
der Kommunikationsfähigkeit der einzig relevante Ansatz, aber auch nur dann, wenn er entweder die Erkenntnisfähigkeit oder die Fähigkeit zur Willensbetätigung erheblich einschränkt.
entweder die Erkenntnisfähigkeit oder die Fähigkeit zur Willensbetätigung erheblich einschränkt.
      
Siehe hierfür auch die internationale Klassifikation für Behinderungen (ICF): http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm
 
Siehe hierfür auch die internationale Klassifikation für Behinderungen (ICF): http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm
Zeile 65: Zeile 63:  
Bei psychischen Krankheiten fehlt oft die Erkenntnis, krank zu sein. Daraus resultiert dann oft das Unvermögen, die psychische Krankheit behandeln zu lassen. Dies allein rechtfertigt aber noch keine [[Betreuerbestellung]], so lange sich seine Auswirkungen auf das Krankbleiben beschränken, der Betroffene also über die psychische Krankheit als solche hinaus im Alltag nicht beeinträchtigt ist. Denn die Krankheit als solche bildet ja eben noch keinen ausreichenden Betreuungsgrund, mag sie nun behandelt werden oder nicht.
 
Bei psychischen Krankheiten fehlt oft die Erkenntnis, krank zu sein. Daraus resultiert dann oft das Unvermögen, die psychische Krankheit behandeln zu lassen. Dies allein rechtfertigt aber noch keine [[Betreuerbestellung]], so lange sich seine Auswirkungen auf das Krankbleiben beschränken, der Betroffene also über die psychische Krankheit als solche hinaus im Alltag nicht beeinträchtigt ist. Denn die Krankheit als solche bildet ja eben noch keinen ausreichenden Betreuungsgrund, mag sie nun behandelt werden oder nicht.
   −
Nicht erforderlich ist jedoch, dass dem Betroffene durch das Unvermögen zur Besorgung eigener Angelegenheiten ein Schaden droht. Es reicht aus, dass eine Angelegenheit geregelt werden muss, für die der Betroffene juristisch zuständig ist, und dass er dies nicht kann. Die Betreuung kann somit auch ausschließlich im Interesse eines Außenstehenden angeordnet werden. {{Zitat de §|1901|bgb}} Abs. 2 Satz 1 BGB gilt erst für die Tätigkeit des Betreuers, nicht schon für dessen Bestellung. Deshalb ist es zum Beispiel zulässig, dem [[Geschäftsfähigkeit|Geschäftsunfähigen]] einen Betreuer zu bestellen, damit der Vermieter das mit ihm geschlossene [[Wohnungsangelegenheiten|Mietverhältnis]] wirksam kündigen kann (vgl. {{Zitat de §|131|bgb}} Abs. 1 BGB).
+
Nicht erforderlich ist jedoch, dass dem Betroffene durch das Unvermögen zur Besorgung eigener Angelegenheiten ein Schaden droht. Es reicht aus, dass eine Angelegenheit geregelt werden muss, für die der Betroffene juristisch zuständig ist, und dass er dies nicht kann. Die Betreuung kann somit auch ausschließlich im Interesse eines Außenstehenden angeordnet werden. § 1821 BGB gilt erst für die Tätigkeit des Betreuers, nicht schon für dessen Bestellung. Deshalb ist es zum Beispiel zulässig, dem [[Geschäftsfähigkeit|Geschäftsunfähigen]] einen Betreuer zu bestellen, damit der Vermieter das mit ihm geschlossene [[Wohnungsangelegenheiten|Mietverhältnis]] wirksam kündigen kann (vgl. {{Zitat de §|131|bgb}} Abs. 1 BGB).
    
Rechtsprechung:
 
Rechtsprechung:
Zeile 84: Zeile 82:  
'''BGH, Beschluss vom 06.07.2011,  XII ZB 80/11''', MDR 2011, 1041 = FamRZ 2011, 1390 = BtPrax 2011, 210 = BeckRS 2011, 19946 = IBRRS 81511 =  LSK 2011, 370287 = RdLH 2011, 142:
 
'''BGH, Beschluss vom 06.07.2011,  XII ZB 80/11''', MDR 2011, 1041 = FamRZ 2011, 1390 = BtPrax 2011, 210 = BeckRS 2011, 19946 = IBRRS 81511 =  LSK 2011, 370287 = RdLH 2011, 142:
   −
Der in § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB enthaltene Grundsatz der Erforderlichkeit verlangt für die Bestellung eines Betreuers  
+
Der in § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. (jetzt § 1814 Abs. 3 BGB) enthaltene Grundsatz der Erforderlichkeit verlangt für die Bestellung eines Betreuers  
 
tatrichterliche Feststellungen dazu, ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht.
 
tatrichterliche Feststellungen dazu, ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht.
 
Der objektive Betreuungsbedarf ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen.
 
Der objektive Betreuungsbedarf ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen.
Zeile 92: Zeile 90:  
# Ein Betreuer darf nicht bestellt werden, wenn das Betreuungsziel nicht erreichbar ist.
 
# Ein Betreuer darf nicht bestellt werden, wenn das Betreuungsziel nicht erreichbar ist.
 
# Für eine [[Zwangsbehandlung]] von untergebrachten Personen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB fehlt es an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Die Norm genügt nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen vom 23.03.2011 und vom 12.10.2011 an die Bestimmtheit eines Gesetzes zum schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung aufgestellt hat.
 
# Für eine [[Zwangsbehandlung]] von untergebrachten Personen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB fehlt es an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Die Norm genügt nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen vom 23.03.2011 und vom 12.10.2011 an die Bestimmtheit eines Gesetzes zum schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung aufgestellt hat.
 +
 +
'''BGH, Beschluss vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14''':
 +
 +
# Auch im Bereich der Vermögenssorge kann die Erforderlichkeit der Betreuung nicht allein mit der subjektiven Unfähigkeit des Betreuten begründet werden, seine diesbezüglichen Angelegenheiten selbst zu regeln; vielmehr muss aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellungen die gegenwärtige Gefahr begründet sein, dass der Betreute einen Schaden erleidet, wenn man ihm die Erledigung seiner vermögensrechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich selbst überließe (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 XII ZB 80/11 FamRZ 2011, 1391).
 +
# Das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs zugunsten des Vermögens des Betreuten ist nicht zwingend erforderlich; es genügt, dass dieser Bedarf jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst wird.
 +
# Zur Einrichtung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in behördlichen und gerichtlichen Verfahren.
    
=== Keine vorrangigen anderen Hilfen ausreichend ===
 
=== Keine vorrangigen anderen Hilfen ausreichend ===
[[Bild:Vorsorgevollmachten.png|thumb|300px|right|Registrierte Vorsorgevollmachten]]
+
[[Bild:Vorsorgevollmachten.gif|thumb|300px|right|Registrierte Vorsorgevollmachten]]
 
Die Bestellung eines Betreuers ist nicht erforderlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut durch andere Hilfsangebote besorgt werden können ({{Zitat de §|1896|bgb}} Abs. 2 Satz 2 BGB). Weiter ist Voraussetzung, dass die Angelegenheiten, die für die betroffene Person besorgt werden müssen, nicht durch andere Hilfen, die ohne [[wikipedia:de:gesetzlicher Vertreter|gesetzlichen Vertreter]] möglich sind, gleich gut erledigt werden können. Andere Hilfen können z.B. Familienangehörige, [[wikipedia:de:Nachbarschaftshilfe|Nachbarschaftshilfe]] oder soziale Dienste sein, sowie von der betroffenen Person [[wikipedia:de:Vollmacht|bevollmächtigte Dritte]]. Die Betreuung nach dem BGB ist somit [[wikipedia:de:Subsidiarität|subsidiär]] (nachrangig). Durch die Einfügung des Wortes ”rechtlich” in {{Zitat de §|1896|bgb}} [[wikipedia:de:Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] im Jahre 1999 ist verdeutlicht worden, dass Betreuungstätigkeit eine rechtliche Vertretung darstellt.
 
Die Bestellung eines Betreuers ist nicht erforderlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut durch andere Hilfsangebote besorgt werden können ({{Zitat de §|1896|bgb}} Abs. 2 Satz 2 BGB). Weiter ist Voraussetzung, dass die Angelegenheiten, die für die betroffene Person besorgt werden müssen, nicht durch andere Hilfen, die ohne [[wikipedia:de:gesetzlicher Vertreter|gesetzlichen Vertreter]] möglich sind, gleich gut erledigt werden können. Andere Hilfen können z.B. Familienangehörige, [[wikipedia:de:Nachbarschaftshilfe|Nachbarschaftshilfe]] oder soziale Dienste sein, sowie von der betroffenen Person [[wikipedia:de:Vollmacht|bevollmächtigte Dritte]]. Die Betreuung nach dem BGB ist somit [[wikipedia:de:Subsidiarität|subsidiär]] (nachrangig). Durch die Einfügung des Wortes ”rechtlich” in {{Zitat de §|1896|bgb}} [[wikipedia:de:Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] im Jahre 1999 ist verdeutlicht worden, dass Betreuungstätigkeit eine rechtliche Vertretung darstellt.
   Zeile 112: Zeile 116:     
Mit der [[Vorsorgevollmacht]] kann man für den Fall seiner Betreuungsbedürftigkeit einer Person seines [[wikipedia:de:Vertrauen|Vertrauen]]s Vollmacht für alle eventuell anfallenden [[wikipedia:de:Rechtsgeschäft|Rechtsgeschäft]]e erteilen und so die Anordnung einer Betreuung vermeiden. Hierfür müssen ggf. bestimmte  [[wikipedia:de:Formvorschrift|Formvorschrift]]en beachtet werden.
 
Mit der [[Vorsorgevollmacht]] kann man für den Fall seiner Betreuungsbedürftigkeit einer Person seines [[wikipedia:de:Vertrauen|Vertrauen]]s Vollmacht für alle eventuell anfallenden [[wikipedia:de:Rechtsgeschäft|Rechtsgeschäft]]e erteilen und so die Anordnung einer Betreuung vermeiden. Hierfür müssen ggf. bestimmte  [[wikipedia:de:Formvorschrift|Formvorschrift]]en beachtet werden.
 
+
[[Bild:Anfragen_vorsorgeregister.gif|thumb|300px|right|Abfragen beim Vorsorgeregister]]
 
Allerdings kann es z.B. sein, dass eine Betreuung trotz Vorhandenseins von [[wikipedia:de:Verwandtschaft|Familienangehörigen]] oder [[Vorsorgevollmacht|Bevollmächtigten]] nötig wird, nämlich dann, wenn diese Personen gegen Wohl und Willen der betroffenen Person handeln oder von ihr nicht mehr kontrolliert werden können. Außerdem müssen die oben genannten [[wikipedia:de:Sozialleistung|sozialen Hilfen]] beantragt, organisiert und ggf. bezahlt werden. Hierfür ist in der Regel ein [[wikipedia:de:gesetzlicher Vertreter|gesetzlicher Vertreter]] nötig.
 
Allerdings kann es z.B. sein, dass eine Betreuung trotz Vorhandenseins von [[wikipedia:de:Verwandtschaft|Familienangehörigen]] oder [[Vorsorgevollmacht|Bevollmächtigten]] nötig wird, nämlich dann, wenn diese Personen gegen Wohl und Willen der betroffenen Person handeln oder von ihr nicht mehr kontrolliert werden können. Außerdem müssen die oben genannten [[wikipedia:de:Sozialleistung|sozialen Hilfen]] beantragt, organisiert und ggf. bezahlt werden. Hierfür ist in der Regel ein [[wikipedia:de:gesetzlicher Vertreter|gesetzlicher Vertreter]] nötig.
   Zeile 137: Zeile 141:  
# Vorwürfe von Ärzten gegenüber den vorsorgebevollmächtigten Eltern eines Betreuten reichen für sich allein, ohne weitere Feststellungen gemäß § 12 FGG, nicht aus, um entgegen § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Betreuer zu bestellen.
 
# Vorwürfe von Ärzten gegenüber den vorsorgebevollmächtigten Eltern eines Betreuten reichen für sich allein, ohne weitere Feststellungen gemäß § 12 FGG, nicht aus, um entgegen § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Betreuer zu bestellen.
 
# Der Betreuer hat bei seiner, die Einwilligung des [[Einwilligungsfähigkeit|Einwilligungsunfähigen]] ersetzenden Entscheidung über eine ärztliche Behandlung, die Vorstellungen und Wünsche des Betreuten im Rahmen von § 1901 BGB zu berücksichtigen.
 
# Der Betreuer hat bei seiner, die Einwilligung des [[Einwilligungsfähigkeit|Einwilligungsunfähigen]] ersetzenden Entscheidung über eine ärztliche Behandlung, die Vorstellungen und Wünsche des Betreuten im Rahmen von § 1901 BGB zu berücksichtigen.
 +
 +
'''BayOBLG, Beschluss vom 09.04.2003, 3Z BR 242/02''':
 +
 +
Eine Vorsorgevollmacht macht die Betreuung nur dann entbehrlich, wenn die Angelegenheit des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen gesetzlichen Betreuer besorgt werden kann (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Diese Voraussetzung ist unter anderem dann nicht gegeben, wenn der Bevollmächtigte als zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen nicht tauglich erscheint, so etwa wenn der Verdacht begründet ist, er werde die Vollmacht zu eigennützigen Zwecken missbrauchen.
    
'''OLG Brandenburg, Beschluss vpm 28.10.2003''', {{Rspr|11 Wx 38/03}}, OLGR 2005, 587  - Keine Betreuung bei Vorsorgevollmacht:
 
'''OLG Brandenburg, Beschluss vpm 28.10.2003''', {{Rspr|11 Wx 38/03}}, OLGR 2005, 587  - Keine Betreuung bei Vorsorgevollmacht:
Zeile 197: Zeile 205:  
# Ein Betreuer, dem nicht sämtliche [[Aufgabenkreis]]e übertragen oder der nicht zum [[Kontrollbetreuer|Vollmachtsüberwachungsbetreuer]] bestellt wurde, hat nicht die Befugnis, eine von dem Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht zu widerrufen. Im Interesse der Rechtsklarheit ist es erforderlich, die Befugnis zum Widerruf einer solchen Vollmacht bei der Bestimmung der [[Aufgabenkreis]]e ausdrücklich festzulegen.
 
# Ein Betreuer, dem nicht sämtliche [[Aufgabenkreis]]e übertragen oder der nicht zum [[Kontrollbetreuer|Vollmachtsüberwachungsbetreuer]] bestellt wurde, hat nicht die Befugnis, eine von dem Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht zu widerrufen. Im Interesse der Rechtsklarheit ist es erforderlich, die Befugnis zum Widerruf einer solchen Vollmacht bei der Bestimmung der [[Aufgabenkreis]]e ausdrücklich festzulegen.
   −
'''OLG München, Beschluss vom 05.06.2009, 33 Wx 278/08''', FGPrax 2009, 221 = NJW-RR 2009, 1599:
+
'''OLG München, Beschluss vom 05.06.2009, 33 Wx 278/08''', FGPrax 2009, 221 = NJW-RR 2009, 1599 = DNotZ 2011, 43:
 
      
Zweifel an der [[Geschäftsfähigkeit]] zum Zeitpunkt einer Vollmachtserteilung beeinträchtigen die Eignung der Vollmacht als Alternative zur Betreuung nur dann, wenn sie konkrete Schwierigkeiten des Bevollmächtigten im Rechtsverkehr erwarten lassen (Abgrenzung zu BayObLG FamRZ 1994, 720).
 
Zweifel an der [[Geschäftsfähigkeit]] zum Zeitpunkt einer Vollmachtserteilung beeinträchtigen die Eignung der Vollmacht als Alternative zur Betreuung nur dann, wenn sie konkrete Schwierigkeiten des Bevollmächtigten im Rechtsverkehr erwarten lassen (Abgrenzung zu BayObLG FamRZ 1994, 720).
   −
'''OLG München, Beschluss vom 04.11.2009, 33 Wx 285/09''', FGPrax 2010, 29:  
+
'''OLG München, Beschluss vom 04.11.2009, 33 Wx 285/09''', FGPrax 2010, 29 = BtPrax 2010, 36 = FamRZ 2010, 756:  
    
Graduell fortschreitende Demenz - kein Schluss auf den Zustand bei Vollmachterteilung. Im vorliegenden Fall war vom Vollmachtgeber eine [[Vorsorgevollmacht]] erteilt worden. Für die soziale Umgebung des Vollmachtgebers einschließlich der Hausärztin waren keine geistigen Beeinträchtigungen erkennbar. In diesem Fall unterliegt die rückschauende Diagnose der [[Geschäftsfähigkeit|Geschäftsunfähigkeit]] durch einen [[Sachverständigengutachten|Sachverständigen]], der den Betroffenen erstmals nach mehr als vier Monaten seit der Vollmachterteilung untersucht, strengen Anforderungen. Für sich genommen kann aus der Diagnose einer graduell fortschreitenden dementiellen Erkrankung nach [[Unterbringung|Einlieferung in eine psychiatrische Klinik]] wegen akut aufgetretener Verwirrtheit und Orientierungsstörungen kein hinreichender Schluss auf den Zustand zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung gezogen werden.
 
Graduell fortschreitende Demenz - kein Schluss auf den Zustand bei Vollmachterteilung. Im vorliegenden Fall war vom Vollmachtgeber eine [[Vorsorgevollmacht]] erteilt worden. Für die soziale Umgebung des Vollmachtgebers einschließlich der Hausärztin waren keine geistigen Beeinträchtigungen erkennbar. In diesem Fall unterliegt die rückschauende Diagnose der [[Geschäftsfähigkeit|Geschäftsunfähigkeit]] durch einen [[Sachverständigengutachten|Sachverständigen]], der den Betroffenen erstmals nach mehr als vier Monaten seit der Vollmachterteilung untersucht, strengen Anforderungen. Für sich genommen kann aus der Diagnose einer graduell fortschreitenden dementiellen Erkrankung nach [[Unterbringung|Einlieferung in eine psychiatrische Klinik]] wegen akut aufgetretener Verwirrtheit und Orientierungsstörungen kein hinreichender Schluss auf den Zustand zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung gezogen werden.
Zeile 209: Zeile 216:     
# Eine vom Betroffenen erteilte [[Vorsorgevollmacht]] hindert die Bestellung eines Betreuers nur, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15.12.2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 11).
 
# Eine vom Betroffenen erteilte [[Vorsorgevollmacht]] hindert die Bestellung eines Betreuers nur, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (Senatsbeschluss vom 15.12.2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 11).
# Eine Vorsorgevollmacht steht der Anordnung der Betreuung auch dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte als zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen nicht tauglich erscheint, namentlich erhebliche Zweifel an seiner Redlichkeit im Raum stehen. In diesem Fall genügt die Einsetzung eines [[Kontrollbetreuer]]s gemäß § 1896 Abs. 3 BGB regelmäßig nicht.
+
# Eine [[Vorsorgevollmacht]] steht der Anordnung der Betreuung auch dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte als zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen nicht tauglich erscheint, namentlich erhebliche Zweifel an seiner Redlichkeit im Raum stehen. In diesem Fall genügt die Einsetzung eines [[Kontrollbetreuer]]s gemäß § 1896 Abs. 3 BGB regelmäßig nicht.
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 07.03.2012,XII ZB 583/11''', NJW-RR 2012, 772 = MDR 2012, 587 = DNotZ 2012, 753 = FGPrax 2012, 109:
 +
 
 +
# Eine Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13.0.4.2011 - XII ZB 584/10 Rn. 15 mwN).
 +
# Die Bestellung eines Betreuers muss verhältnismäßig sein, weshalb weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen dürfen; dabei gilt der Grundsatz der Erforderlichkeit auch im Bereich der [[Vermögenssorge]] (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 Rn. 9).
 +
# Der Begriff "[[Aufgabenkreis]]" im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB schließt nicht aus, dem Betreuer gegebenenfalls nur eine einzige Angelegenheit zuzuweisen (BayObLG NJWE-FER 2001, 151).
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 13.02.2013, XII ZB 647/12:'''
 +
 
 +
Bei der Prüfung der Eignung des Vorsorgebevollmächtigten kann diesem das Verschulden seines im Betreuungsverfahren tätigen Rechtsanwalts nicht zuge-rechnet werden.
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 7.8.2013 - XII ZB 671/12''':
 +
 
 +
Ein Vorsorgebevollmächtigter ist auch dann ungeeignet, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, wenn er auch unverschuldet objektiv nicht in der Lage ist, die Vorsorgevollmacht zum Wohle des Betroffenen auszuüben (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 7. März 2012 XII ZB 583/11 FamRZ 2012, 868).
 +
 
 +
'''OLG München, Beschl v 07.07.2014, 34 Wx 265/14,'''  DNotZ 2014, 677 = FamRZ 2014, 1943 = FGPrax 2014, 199 =  NJW 2014, 3166
 +
 
 +
Wirksamkeit einer betreuungsvermeidenden Vollmacht über den Tod hinaus.
 +
 
 +
'''LG Kleve, Beschl v 17.03.2015 - 4 T 62/15''':
 +
 
 +
Die Bestellung eines Betreuers ist bei einer umfassenden und zweifelsfrei wirksam erteilten Vorsorgevollmacht auch dann nicht erforderlich, wenn eine Bank nicht bereit ist, diese zu akzeptieren.
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 19. August 2015 - XII ZB 610/14''':
 +
 +
Ist zweifelhaft, ob eine Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen worden ist, können die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten wegen der dadurch bedingt eingeschränkten Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr regelmäßig nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden.
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 23. September 2015 - XII ZB 225/15''':
 +
 +
Eine Betreuung ist nur dann gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht erforderlich, wenn konkrete Alternativen im Sinne dieser Vorschrift bestehen. Die Möglichkeit einer Bevollmächtigung steht der Erforderlichkeit der Betreuung daher nur entgegen, wenn es tatsächlich mindestens eine Person gibt, welcher der Betroffene das für eine Vollmachterteilung erforderliche Vertrauen entgegen bringt und die zur Übernahme der anfallenden Aufgaben als Bevollmächtigter des Betroffenen bereit und in der Lage ist.
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 25. April 2018 - XII ZB 216/17'''
 +
 +
Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint.
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 242/19''':
 +
 
 +
Zur Erforderlichkeit einer Betreuung bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht.
 +
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter einzelne Umstände bzw. Vorfälle nicht isoliert betrachten; er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die für und gegen eine Eignung sprechen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 19. Juli 2017 XII ZB 141/16 FamRZ 2017, 1712).
 +
 
 +
'''AG Erfurt, Beschluss vom 27.07.2020, 7 XVII 382/20'''
 +
 
 +
Einem Krankenhaus, das trotz Vorliegens einer Vorsorgevollmacht, an deren Wirksamkeit keine Zweifel bestehen, ein [[Betreuungsverfahren]] anregt, können unter den Voraussetzungen des § 81 Abs. 4 FamFG die Kosten des Betreuungsverfahrens auferlegt werden.
 +
 
 +
'''BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 - XII ZB 106/20'''
 +
 
 +
# Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701).
 +
# Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei ist die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat.
 +
 
 +
'''AG Dresden, Beschluss vom 10.03.2022, 404 XVII 2174/21'''
 +
# Zum Wesen der Betreuung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14).
 +
#Zur Erforderlichkeit der Betreuerbestellung trotz Vorsorgevollmacht (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - XII ZB 164/20 und BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 - XII ZB 498/15).
 +
# Zu den Voraussetzungen einer Kontrollbetreuung (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 9. Mai 2018 - XII ZB 413/17).
 +
# Zur Überzeugungsbildung nach § 37 Abs. 1 FamFG.
 +
 
 +
===Zu anderen Hilfen===
 +
 
 +
'''BSG, Urteil vom 30.6.2016, - B 8 SO 7/15 R -''':
 +
 
 +
Die rechtliche Betreuung geht der Eingliederungshilfe (§§ 53 ff SGB XII) bei der Beurteilung der erforderlichen Leistungen eines Ambulant-betreuten-Wohnens nicht vor. Bei der Unterscheidung zwischen der rechtlichen und der sozialhilferechtlichen Betreuung ist zu beachten, dass erstere nur die Rechtsfürsorge erfasst, während die Betreuung im Rahmen des Ambulanten-Wohnens der tatsächlichen Alltagsbewältigung dient, soweit nicht Rechtshandlungen betroffen sind. Vom Ambulant-betreuten-Wohnen werden im Übrigen alle Hilfeleistungen im eigenen Wohnumfeld erfasst, die dazu dienen, den behinderten Menschen zu befähigen, dort selbstständig zu leben; sie sind nicht rein gegenständlich auf die Wohnung beschränkt.
 +
 
 +
'''LG Duisburg, Beschluss vom 08.02.2023, 12 T 11/23''':
 +
 
 +
Zur Ablehnung der Bestellung eines Betreuers nach § 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch andere Hilfen erledigt werden können, insbesondere durch solche Unterstützung, die auf sozialen Rechten oder anderen Vorschriften beruht.
    
=== Keine Betreuungsanordnung gegen den freien Willen ===
 
=== Keine Betreuungsanordnung gegen den freien Willen ===
Zeile 255: Zeile 326:     
Nach der zum 1.7.2005 eingeführten Vorschrift des § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist deswegen neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.
 
Nach der zum 1.7.2005 eingeführten Vorschrift des § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist deswegen neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.
 +
 +
'''BGH, Beschluss vom 14.03.2012; XII ZB 502/11''':
 +
 +
Stimmt der Betroffene der [[Betreuerbestellung|Einrichtung einer Betreuung]] nicht zu, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 09.02.2011 - XII ZB 526/10).
 +
 +
'''LG Mainz, Beschluss vom 10.05.2016, 8 T 43/16''':
 +
 +
Das jedenfalls für die Anfangszeit der Tätigkeit des Betreuers zu erwartende krankheitsbedingte Fehlen einer jeglichen Kooperationsbereitschaft steht der Anordnung einer Betreuung nur dann entgegen, wenn es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen.
    
===Betreuung auf eigenen Antrag hin oder von Amts wegen ===
 
===Betreuung auf eigenen Antrag hin oder von Amts wegen ===
Zeile 289: Zeile 368:     
Kann eine alte Frau lediglich "nicht mit Geld umgehen", so dass sie stark verschuldet ist, rechtfertigt dies nicht die Bestellung eines amtlichen Betreuers (hier unter anderem angeordnet für den [[Aufgabenkreis]] "[[Vermögenssorge]]") auf Staatskosten. Dies wäre nur gerechtfertigt, wenn die Person wegen einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung unfähig wäre, ihre Vermögensangelegenheiten "sinnvoll und realitätsbezogen" zu regeln. (Hier vom Oberlandesgericht Köln verneint, weil die alte Dame durchaus noch in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen, was zum Beispiel dadurch bewiesen sei, dass sie - mit Hilfe des diakonischen Werkes - ein Verbraucherinsolvenzverfahren eingeleitet habe.)
 
Kann eine alte Frau lediglich "nicht mit Geld umgehen", so dass sie stark verschuldet ist, rechtfertigt dies nicht die Bestellung eines amtlichen Betreuers (hier unter anderem angeordnet für den [[Aufgabenkreis]] "[[Vermögenssorge]]") auf Staatskosten. Dies wäre nur gerechtfertigt, wenn die Person wegen einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung unfähig wäre, ihre Vermögensangelegenheiten "sinnvoll und realitätsbezogen" zu regeln. (Hier vom Oberlandesgericht Köln verneint, weil die alte Dame durchaus noch in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen, was zum Beispiel dadurch bewiesen sei, dass sie - mit Hilfe des diakonischen Werkes - ein Verbraucherinsolvenzverfahren eingeleitet habe.)
 +
 +
====Analphabetismus als Betreuungsgrund ?====
 +
'''LG Kleve, Beschluss vom 7.3.2013, 4 T 29/13''', BtPrax 2013, 166 = FamRZ 2013, 1835 = NJW-RR 2013, 1161;
 +
 +
§ 1896 BGB kann auf Analphabeten nicht analog angewendet werden, da es sich bei Analphabetismus nicht um eine Behinderung handelt. Da alle Menschen als Analphabeten geboren werden, liegt kein angeborenes Intelligenzdefizit vor. Auch ein später erworbenes Intelligenzdefizit scheidet aus, es handelt sich schlichtweg um eine nicht erlernte Fähigkeit, die auch nicht den Schluss auf eine geistige Behinderung zulässt – schließlich sind fast die Hälfte der Weltbevölkerung Analphabeten.
    
====Betreuerbestellung zur Verhinderung einer (weiteren) Verschuldung des Betroffenen====
 
====Betreuerbestellung zur Verhinderung einer (weiteren) Verschuldung des Betroffenen====
Zeile 332: Zeile 416:  
 
 
Wer auf das mündliche Angebot einer Betreuung sichtlich aufgeregt wird und mit überschlagener Sprache pauschal jegliche Hilfe ablehnt, mit Suizid droht, falls die Betreuung bestehen bleibe, seine Papiere bei der Schuldnerberatung abgestellt und sein gesamtes Guthaben vom Konto abgehoben hat, kann krankheitsbedingt die Notwendigkeit seiner Betreuung nicht einsehen. Die Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine [[Betreuerbestellung]] sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen.
 
Wer auf das mündliche Angebot einer Betreuung sichtlich aufgeregt wird und mit überschlagener Sprache pauschal jegliche Hilfe ablehnt, mit Suizid droht, falls die Betreuung bestehen bleibe, seine Papiere bei der Schuldnerberatung abgestellt und sein gesamtes Guthaben vom Konto abgehoben hat, kann krankheitsbedingt die Notwendigkeit seiner Betreuung nicht einsehen. Die Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine [[Betreuerbestellung]] sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen.
 +
 +
'''BGH Beschluss v 23.1.2013, XII ZB 395/12,''' BeckRS 2013, 03981:
 +
 +
Kann der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung seine Angelegenheiten hinsichtlich der Aufgabenbereiche [[Gesundheitssorge]] und Heilbehandlung nicht selbst besorgen, so ist ihm hierfür grundsätzlich auch dann ein Betreuer zu bestellen, wenn er die notwendige Behandlung ablehnt.
    
====Psychische Krankheit - "Altersstarrsinn" gehört nicht  dazu====
 
====Psychische Krankheit - "Altersstarrsinn" gehört nicht  dazu====
Zeile 351: Zeile 439:     
Nach einem Streit über ein Bankkonto, für das die Eltern ihrer Tochter eine Vollmacht erteilten, behauptete die Tochter gegenüber dem Amtsgericht, die Zustände in der Wohnung seien unhaltbar und den Eltern sei daher ein Betreuer zu verpassen. Ihr Vater verbrauche außerdem sechs Flaschen Schnaps die Woche. Die Anschuldigungen erwiesen sich als grundlos. Das Gericht urteilte, dass unter diesen Umständen eine grobe Verfehlung vorliege, die die Eltern zum Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks berechtige.
 
Nach einem Streit über ein Bankkonto, für das die Eltern ihrer Tochter eine Vollmacht erteilten, behauptete die Tochter gegenüber dem Amtsgericht, die Zustände in der Wohnung seien unhaltbar und den Eltern sei daher ein Betreuer zu verpassen. Ihr Vater verbrauche außerdem sechs Flaschen Schnaps die Woche. Die Anschuldigungen erwiesen sich als grundlos. Das Gericht urteilte, dass unter diesen Umständen eine grobe Verfehlung vorliege, die die Eltern zum Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks berechtige.
 +
 +
====Betreuung im Drittinteresse====
 +
 +
Die Rechtsprechung erkennt ausnahmsweise an, dass ein Betreuer auch im ausschließlichen Interesse eines Dritten (zB eines Vertragspartners) bestellt werden darf, wenn es um die Geltendmachung von Rechten gegen den Betroffenen geht und der Dritte daran ohne die Bestellung eines Betreuers wegen [[Geschäftsunfähigkeit]] des Betroffenen gehindert wäre, zB wegen § 131 BGB (BayOLG, FamRZ 1996, 1369).
 +
 +
'''AG Ludwigslust, Beschluss vom 26.09.2014, 5 C 63/11'''
 +
 +
# Erfordert der in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Anspruch auf effektiven Rechtsschutz die Durchsetzbarkeit einer Forderung auch gegen eine prozessunfähige Partei, muss dies in verfassungskonformer Auslegung von § 24 FamFG zumindest das Recht auf eine rechtsmittelfähige Entscheidung durch das Betreuungsgericht, wenn nicht sogar ein eigenes Antragsrecht des Klägers eines derartigen Verfahrens im Hinblick auf die Einrichtung einer Betreuung für die prozessunfähige Gegenpartei nach sich ziehen.
 +
# Erfolgt die Einrichtung einer Betreuung in einem solchen Fall vorwiegend im Interesse des Prozessgegners des Prozessunfähigen als Drittem, kann für die Entscheidung des Betreuungsrichters eine sog. "Betreuungsunfähigkeit" des Letzteren nicht ins Gewicht fallen.
    
===Keine Betreuerbestellung bei Alkoholsucht ohne Folgeerkrankung===
 
===Keine Betreuerbestellung bei Alkoholsucht ohne Folgeerkrankung===
Zeile 424: Zeile 521:     
== Betreuungsverfahren ==
 
== Betreuungsverfahren ==
Die Betreuungsanordnung erfolgt in einem [[Betreuungsverfahren|gerichtlichen Verfahren]]  (§§ 271 ff. FamFG), für das spezielle Verfahrensgarantien festgelegt wurden.
+
Die Betreuungsanordnung erfolgt in einem [[Betreuungsverfahren|gerichtlichen Verfahren]]  (§§ 271 ff. FamFG), für das spezielle Verfahrensgarantien festgelegt wurden, z.B. [[Anhörung]]en, [[Sachverständigengutachten]], [[Verfahrenspfleger]]bestellungen. Im [[Betreuungsverfahren]] gelten alle Betroffenen als [[Verfahrensfähigkeit|verfahrensfähig]].
    
==Siehe auch==
 
==Siehe auch==
[[Bestellung mehrerer Betreuer]], [[Gegenbetreuer]], [[Betreuervorschlag]], [[Kontrollbetreuer]], [[Verhinderungsbetreuer]], [[Sterilisationsbetreuer]]
+
[[Freier Wille]], [[Bestellung mehrerer Betreuer]], [[Gegenbetreuer]], [[Betreuervorschlag]], [[Kontrollbetreuer]], [[Verhinderungsbetreuer]], [[Sterilisationsbetreuer]]
    
==Literatur==
 
==Literatur==
Zeile 436: Zeile 533:  
===Zeitschriftenbeiträge===
 
===Zeitschriftenbeiträge===
 
*[http://www.btsrz.de/images/stories/autoren_beitraege_pdf/Beitrag_Horst_Bhm_.pdf Böhm: Die Erforderlichkeit in der Betreuung und der Wille des Betroffenen; BtSRZ 2011, 44 (PDF)]
 
*[http://www.btsrz.de/images/stories/autoren_beitraege_pdf/Beitrag_Horst_Bhm_.pdf Böhm: Die Erforderlichkeit in der Betreuung und der Wille des Betroffenen; BtSRZ 2011, 44 (PDF)]
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Aufsaetze/Crefeld/Feststellung_von_Betreuungsbeduerftigkeit_R-P09.pdf Crefeld: Zur Feststellung von Betreuungsbedürftigkeit; Recht & Psychiatrie - 2009, 3. Vierteljahr (PDF)]
+
*ders.: Haben die Betreuungsgerichte ein Alkoholproblem? FamRZ 2017, 15
 +
*Bünnigmann: Gradwanderung zwischen Negation und Notwendigkeit rechtlicher Betreuung; BtPrax 2016, 140
 +
*Crefeld: Zur Feststellung von Betreuungsbedürftigkeit; Recht & Psychiatrie, Heft 3/2009
 
*[http://www.bt-portal.de/btprax/aktuelle-ausgabe/artikelansicht/zeitschriften-artikel/aktuelle-ausgabe/erforderlichkeit-der-betreuung-und-der-vorrang-anderer-hilfen.html Dieckmann: Erforderlichkeit der Betreuung und der Vorrang anderer Hilfen; BtPrax 2011, 185]
 
*[http://www.bt-portal.de/btprax/aktuelle-ausgabe/artikelansicht/zeitschriften-artikel/aktuelle-ausgabe/erforderlichkeit-der-betreuung-und-der-vorrang-anderer-hilfen.html Dieckmann: Erforderlichkeit der Betreuung und der Vorrang anderer Hilfen; BtPrax 2011, 185]
 
*Dodegge: Der Schutz des freien Willens durch die Rechtsinstitute Betreuung, Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung; FPR 2008, 591
 
*Dodegge: Der Schutz des freien Willens durch die Rechtsinstitute Betreuung, Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung; FPR 2008, 591
 +
*ders.: Zu den Voraussetzungen des § 1896 BGB:  BR (Behindertenrecht) 2007, 9
 +
*Jordans: Anordnung einer Betreuung trotz Vorliegen einer Vollmacht, MDR 2015, 1045
 
*Jürgens: Erforderlichkeitsgrundsatz im Betreuungsverfahren; [[BtPrax]] 2002, 18
 
*Jürgens: Erforderlichkeitsgrundsatz im Betreuungsverfahren; [[BtPrax]] 2002, 18
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/BGT/Betrifft_Betreuung/9_Qualitaet_im_Betreuungswesen_200711.pdf#Page=111 Knittel/Looz/Schulze Erforderlichkeit der Betreuung/Wille des Betreuten; Betrifft:Betreuung Nr. 9, S. 113  (PDF)]
+
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Themen/Betrifft_Betreuung/9_Qualitaet_im_Betreuungswesen_200711.pdf#Page=111 Knittel/Looz/Schulze Erforderlichkeit der Betreuung/Wille des Betreuten; Betrifft:Betreuung Nr. 9, S. 113  (PDF)]
 
*Schmidt: Betreuung und Unterbringung bei Süchtigen; BtPrax 2001, 188
 
*Schmidt: Betreuung und Unterbringung bei Süchtigen; BtPrax 2001, 188
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/BGT/Betrifft_Betreuung/9_Qualitaet_im_Betreuungswesen_200711.pdf#Page=115 Seitz: Erforderlichkeit der Betreuung und freier Wille der Betroffenen; Betrifft:Betreuung Nr. 9, S. 117  (PDF)]
+
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Themen/Betrifft_Betreuung/9_Qualitaet_im_Betreuungswesen_200711.pdf#Page=115 Seitz: Erforderlichkeit der Betreuung und freier Wille der Betroffenen; Betrifft:Betreuung Nr. 9, S. 117  (PDF)]
 +
*Sturmberg/Hövelmann: Abschied von formalistischen Denkmustern - Anmerkungen zur sog. Unbetreubarkeit; BtPrax 2020, 47
    
===wissenschaftliche Untersuchungen===
 
===wissenschaftliche Untersuchungen===
 
*[http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/soa/13367.html Gräf: Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers...]
 
*[http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/soa/13367.html Gräf: Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers...]
 
*[http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/2225.html Boyrali: Schizophrenie - Ein kurzer Überblick über Ursachen, Symptome und Therapiemöglichkeiten]
 
*[http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/2225.html Boyrali: Schizophrenie - Ein kurzer Überblick über Ursachen, Symptome und Therapiemöglichkeiten]
 +
*[http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Machbarkeitsstudie_ISG.html Machbarkeitsstudie Subsiarität im Betreuungsrecht (ISG Köln, 2012 im Auftrag des BMJ)]
    
==Weblinks==
 
==Weblinks==
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Vortraege/Boehm/Erforderlichkeit_in_der_Betreuung_und_Wille_des_Betroffenen_BayBGT1.pdf Böhm: Erforderlichkeit in der Betreuung und der Wille des Betroffenen; Vortrag vor dem bayr. VGT 2010 (PDF)]
+
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Tagungen/Bayerischer_BGT/01/B%C3%B6hm_Erforderlichkeit_in_der_Betreuung.pdf Böhm: Erforderlichkeit in der Betreuung und der Wille des Betroffenen; Vortrag vor dem bayr. VGT 2010 (PDF)]
*[http://vermeersch.de/b-erforderlichkeit.html Weitere Infos zur Erforderlichkeit von Betreuerbestellungen (Betreuerbüro Vermeersch)]
   
*[http://dejure.org/dienste/lex/BGB/1896/1.html Rechtsprechung zu § 1896 BGB im Volltext]
 
*[http://dejure.org/dienste/lex/BGB/1896/1.html Rechtsprechung zu § 1896 BGB im Volltext]
*[http://www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/empfehlungen_archiv/2011/DV%2033-11.pdf Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der Betreuung (PDF)]
+
*[https://www.deutscher-verein.de/de/download.php?file=uploads/empfehlungen-stellungnahmen/2011/dv-33-11.pdf Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Stärkung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der Betreuung (PDF)]
 +
*[http://www.bgt-ev.de/fileadmin/Mediendatenbank/Stellungnahmen/2009-2011/Schwerpunktthema_Erforderlichkeit_201202.pdf Stellungnahme des Betreuungsgerichtstages zur Erforderlichkeit von Betreuerbestellungen (PDF)]
     

Navigationsmenü