Betreuungssache

Allgemeines

Betreuungssachen werden definiert in § 271 FamFG. Die Bestimmung hat keine direkte Vorgängerregelung im FGG. Sie enthält eine Legaldefinition der Betreuungssachen und findet bezüglich der Unterbringungssachen eine Entsprechung in § 312 FamFG (vorher enthalten in § 70 Abs. 1 FGG).

Durch die Definition der Betreuungssachen wird zugleich die sachliche Zuständigkeit der zum 1.9.2009 als Abteilungen der Amtsgerichte (§ 23a GVG) neu errichteten Betreuungsgerichte (BetrG) definiert (§ 23c GVG). Diese sind außerdem für Unterbringungssachen (§ 312 FamFG) und betreuungsrechtliche Zuweisungssachen (§ 340 FamFG) zuständig.

Betreuungssachen sind nach Nummer 1 Betreuungsverfahren über die Bestellung eines Betreuers und die Aufhebung der Betreuung sowie nach Nummer 2 Verfahren auf Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes. Diese Verfahrensgegenstände sind von besonderer Bedeutung. Die überwiegende Zahl der Verfahrensvorschriften bezieht sich auf die Bestellung eines Betreuers und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes. Sie werden daher an erster Stelle genannt.

Betreuungssachen sind ferner gemäß Nummer 3 Verfahren über die rechtliche Betreuung von Volljährigen, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch in Buch 4 Abschnitt 3 Titel 2 beschrieben werden (Reg.Begr. Bt-Drs. 16/6308, S. 264). Ausgenommen hiervon sind die Ver-fahren zur Genehmigung der Unterbringung des Betreuten nach § 1906 BGB. Insoweit gilt das Verfahren in Unterbringungssachen (§§ 312 ff. FamFG). Verfahren nach § 271 Nr. 3 FamFG sind (anders als die nach § 271 Nr. 1 und 2 FamFG) nur mit ausdrücklicher Zulassung des Landgerichtes zum Bundesgerichtshof mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar (§ 70 FamFG).

Dies betrifft insbesondere Änderungen in den Aufgabenkreisen bereits bestellter Betreuer, Betreuerwechsel, Einschränkungen von Einwilligungsvorbehalten und Betreuungsverlängerungen, Betreuungsaufhebungen sowie gerichtliche Genehmigungsverfahren.

Betreuungssachen sind somit folgende Verfahren


Genehmigung von Betreuerhandlungen in folgenden Fällen:

  • Abschluss eines Ehevertrags (§ 1411 II BGB)
  • Ablehnung der Fortsetzung einer Gütergemeinschaft (§ 1484 II BGB)
  • Verzicht auf Gesamtgutsanteil (§ 1491 II BGB)
  • Aufhebung der Gütergemeinschaft (§ 1492 III BGB)
  • Anfechtung der Vaterschaft (§ 1596 I BGB)
  • Gewährung einer Ausstattung1908 BGB)
  • Gefährliche Heilbehandlungen, Untersuchungen, sonst. ärztliche Eingriffe (§ 1904 BGB, § 298 FamFG)
  • Sterilisation Betreuter (§ 1905 BGB, § 297 FamFG)
  • Wohnungskündigung, sonst. Beendigung von Mietverhältnissen, Dauerschuldverhältnisse (§ 1907 BGB)
  • Anfechtung eines Erbvertrags (§ 2282 II BGB)
  • Aufhebung eines Erbvertrags (§ 2290 III BGB)
  • Erbverzichtserklärung (§ 2347 II BGB)
  • Genehmigung der Ehescheidung bzw- -aufhebung (§ 125 Abs. 2 FamFG)
  • Namensänderungen (§ 2 NamensändG)
  • Verschollenheitsanträge (§ 16 Abs. 3 VerschG)
  • Erbrechtsvereinbarungen zwischen Vater und nichtehel. Kind (§ 10a NichtehelG)
  • Einwilligung in Kastrationen (§ 6 KastrG)

Unklar war zunächst, was in den weiteren Verfahren gilt, für die im Minderjährigenrecht nun-mehr die Zuständigkeit des Familiengerichtes erklärt wurde und bei welchen eine ausdrückliche Zuständigkeit des Betreuungsgerichtes bei der sinngemäßen Anwendung auf Betreuungen nicht vorgenommen wurde.

Es handelt sich hierbei um alle bisherigen vormundschaftsgerichtlichen Genehmigungen und Freigabeentscheidungen im Bereich der Vermögenssorge (§§ 1810 1812, 1815, 1817, 1819 – 1825). Weiterhin fehlen Verweise auf die Zuständigkeit der Betreuungsgerichte bei der Aufsicht über den Betreuer (§§ 1795 – 1798, 1837 – 1843, 1892 – 1894) sowie in Verfahren zur Festsetzung von Aufwendungsersatz und Betreuervergütung (§§ 1835 ff. BGB, §§ 4-8 VBVG).

Immerhin wird bezüglich der Genehmigungen nach den §§ 1821, 1822, 1823 und 1825 in § 299 FamFG, also innerhalb der Bestimmungen über Betreuungssachen, auf die An-hörungspflicht verwiesen. Also geht der Gesetzgeber offenbar auch von der Zuständigkeit der BetrGe aus.

In § 292 Abs. 1 FamFG wird auf § 168 FamFG (zuvor § 56g FGG) verwiesen (ähnlich wie bisher bereits in § 1908i I BGB auf die im vorigen Absatz genannten Bestimmungen aus dem Vormundschaftsrecht). Allein der Verweis auf die Anwendung einer anderen Norm bedeutet u.E. jedoch noch keine anderweitige gerichtliche Zuständigkeit. Dies insbesondere, da an zahlreichen anderen Stellen sowohl des FamFG als auch im Rahmen der Änderungen des BGB die an die Stelle des Familiengerichtes tretende Zuständigkeit des Betreuungsgerichtes erwähnt wird (so z.B. in §§ 1915 und 1921 BGB für Pflegschaften sowie in den §§ 1411 II, 1484 II, 1491 II, 1492 III, 1493 II, 1596 I, § 2282 II, § 2290 III, § 2347 II BGB, § 15 II SGB X, § 16 I VwVfG, § 81 I AO, § 207 BauGB, § 1 VI HöfeO, § 119 II FlurBerG für Betreuungen).

Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um versehentliche Lücken handelt, die im Rahmen von umfangreichen Artikelgesetzen eher die Regel als die Ausnahme darstellen. Es ist durch sachgerechte Rechtsprechung festzustellen, dass die Betreuungsgerichte auch in den genannten Verfahren zuständig sind, soweit Betreute davon betroffen sind. Das Bundesministerium der Justiz geht in einem Antwortschreiben vom 27.9.2008 zu der Problematik davon aus, dass die betreuungsgerichtliche Zuständigkeit sich aus dem Sachzusammenhang ergebe, obwohl die §§ 292 Abs.1 FamFG, 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB, 4 Abs. 3 VBVG keinen ausdrücklichen Verweis darauf enthalten (Gesch.Nr. I A 1 - 3475/4 - 5 - 2 - 12 1086/2008).

Keine Betreuungssachen sind Verfahren über Ansprüche, die sich zwischen dem Betreuer und dem Betreuten (außerhalb von Aufwendungsersatz und Vergütung) ergeben. Insbesondere sind dies Schadensersatzansprüche (§§ 823, 1833 BGB) und Herausgabeansprüche nach dem Ende der Betreuung1890 BGB). Hier ist der Zivilprozessweg gegeben.

Rechtsprechung

BGH, Beschluss vom 15.09.2010, XII ZB 166/10, BtPrax 2010, 276 = FamRZ 2010, 1897 = FGPrax 2010, 288 = NJW 2010, 3777 = RdLH 2010, 172 = BeckRS 2010, 24359 = IBRRS 77283 = LSK 2010, 470223:

Im Verfahren über die Verlängerung einer bestehenden Betreuung nach § 295 FamFG ist gegen die Beschwerdeentscheidung die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gemäß § 70 III Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft. Dies gilt auch, wenn sich der Betroffene nicht gegen die Verlängerung der Betreuung, sondern nur gegen die Auswahl des Betreuers wendet.

BGH, Beschluss vom 09.02.2011, XII ZB 364/10; NJW-RR 2011, 580 = BeckRS 2011, 04956 = FGPrax 2011, 118 = IBRRS 79596 = NJW-RR 2011, 580 = LSK 2011, 170196 = BtPrax 2011, 128:

Die Entlassung des bisherigen Betreuers gemäß § 1908 b I BGB wird nicht von den §§ 70 III Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst. Deshalb ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in einem solchen Verfahren ohne Zulassung nicht statthaft.

BGH, Beschluss vom 30.03. 2011, XII ZB 692/10, BeckRS 2011, 12177 = FGPrax 2011, 179 = IBRRS 80288 = NJW-RR 2011, 1154 = LSK 2011, 270309 = BtPrax 2011, 176 = MDR 2011, 939 = FamRZ 2011, 966:

Verfahren, bei denen bei fortbestehender Betreuung allein über die Person des Betreuers entschieden werden soll, werden nicht von §§ 70 III Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst. Deshalb ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in einem solchen Verfahren ohne Zulassung nicht statthaft.

BGH, Beschluss vom 18.05.2011, XII ZB 671/10, BeckRS 2011, 15433 = FGPrax 2011, 181 (Ls) = IBRRS 80714 = NJW-RR 2011, 1081 = LSK 2011, 280491 = Rpfleger 2011, 499 (LS) = MDR 2011, 876 = FuR 2011, 523 = FamRZ 2011, 1143 = BtPrax 2011, 169 = http://lexetius.com/2011,2408:

Die Entlassung des bisherigen Betreuers gemäß § 1908 b I BGB wird nicht von den §§ 70 III Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst. Deshalb ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in einem solchen Verfahren ohne Zulassung nicht statthaft.

BGH, Beschluss vom 25.05.2011, XII ZB 283/10, BeckRS 2011, 16127 = FGPrax 2011, 181 (Ls) = IBRRS 80806 = NJOZ 2011, 1282 = LSK 2011, 300498 = Rpfleger 2011, 499 = NJOZ 2011, 1282 = MDR 2011, 875 = FuR 2011, 521 = FamRZ 2011, 1219 = BtPrax 2011, 168 = http://lexetius.com/2011,2484:

Die Bestellung eines Ergänzungsbetreuers gemäß §§ 1899 IV, 1908 i, 1795 I, 1796 BGB wird ebenso wie die Ablehnung einer solchen Bestellung nicht von den §§ 70 III Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst. Deshalb ist die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts in solchen Verfahren nicht statthaft.

BGH, Beschluss vom 29.06.2011, XII ZB 65/11, BeckRS 2011, 19099 = IBRRS 81274 = LSK 2011, 370269 = FamRZ 2011, 1393 = BtPrax 2011, 212 = http://lexetius.com/2011,3286

Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers im Sinne der §§ 70 III Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG sind Verfahren nach § 1896 BGB. Dabei kann es sich sowohl um ein Erstverfahren als auch um ein Verlängerungsverfahren handeln, für das § 295 I FamFG eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme, also der §§ 1896 ff. BGB, anordnet. Demgegenüber bezieht sich die hier in Rede stehende Norm des § 1908 b I BGB, die die Rechtsgrundlage für die (Teil-)Entlassung des Betreuers darstellt, nur auf diejenigen Fälle, in denen bei fortbestehender Betreuung eine isolierte Entscheidung über die Beendigung des Amtes des bisherigen Betreuers getroffen werden soll (Beschluss vom 15.09.2010 - XII ZB 166/10). Die Entlassung des bisherigen Betreuers berührt also nicht den Fortbestand der Betreuung als solche. Dieses Verfahren wird deshalb auch nicht von den §§ 70 III Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG erfasst; vielmehr fällt es unter die Auffangnorm des § 271 Nr. 3 FamFG. Da die (Teil-)Entlassung des Betreuers gemäß § 1908 b BGB nicht die Aufhebung der Betreuung nach sich zieht, kommt auch eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 70 III Satz 1 Nr. 1 2. Alt. FamFG nicht in Betracht.

BGH, Beschluss vom 20.07.2011, XII ZB 445/10; BeckRS 2011, 22813 = http://lexetius.com/2011,4386 = BtPrax 2011, 274 (Ls) = NJW-RR 2011, 1569 = FGPrax 2011, 320:

Eine Rechtmittelbelehrung, die fälschlicherweise darauf hinweist, dass gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde stattfinde, stellt keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar.

a) Die Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG, die eine Rechtsbeschwerde auch ohne Zulassung erlaubt, knüpft an die gleichlautende Definition des Begriffs der Betreuungssachen in § 271 Nr. 1 und 2 FamFG an. Die dort genannten Verfahrensgegenstände sind von besonderer Bedeutung, weil durch sie regelmäßig in gravierendem Maße in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingegriffen wird. Dies wollte der Gesetzgeber mit der Differenzierung in § 271 FamFG deutlich machen. Da er mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG gerade für Betreuungssachen mit besonders hoher Eingriffsintensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten einen zulassungsfreien Zugang zum BGH schaffen wollte, folgt aus der Verknüpfung der beiden Vorschriften, dass eine Rechtsbeschwerde ohne Zulassung durch das Rechtsbeschwerdegericht in allen Verfahren statthaft ist, die von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfasst werden.

Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers im Sinne der §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG sind Verfahren nach § 1896 BGB. Dabei kann es sich sowohl um ein Erstverfahren als auch um ein Verlängerungsverfahren handeln, für das § 295 Abs. 1 FamFG eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme bestimmt. Die besonders hohe Eingriffsintensität ergibt sich bei diesen Verfahren daraus, dass mit der Bestellung des Betreuers zugleich die Anordnung der Betreuung selbst einhergeht.

b) Auch bei der angeordneten Prüfung der Rechnungslegung durch einen Sachverständigen handelt es sich nicht um ein Verfahren nach § 1896 BGB und damit nicht um eine Betreuungssache zur Bestellung eines Betreuers.

BGH, Beschluss vom 13.06.2012, XII ZB 102/12; FamRZ 2012, S. 1290 (Ls) = BeckRS 2012, 15045 = LSK 2012, 360560 (Ls.) = IBRRS 86704:

Ein Verfahren betreffend einen isolierten Betreuerwechsel bei unverändert fortbestehender Betreuung wird von §§ 70 III S. 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 FamFG nicht erfasst.

Literatur

  • Deinert, Online-Lexikon Betreuungsrecht, Teil 1 Betreuungsverfahren Stand Mitte 2013 gedruckt bestellen (books on demand)
  • Bergmann: Die Änderungen in Betreuungs- und Unterbringungssachen durch das FamFG, ZFG 2008, 453
  • Bienwald: Zum Verfahrensrecht in Betreuungssachen; BtMan 2007, 171
  • Knittel: Das FGG-Reformgesetz - ein Mammutwerk; BtMan 2009, 59
  • Rink: Kritische Anmerkungen zum Verfahren in Betreuungs- und Unterbringungssachen; R&P 1991, 148
  • Sonnenfeld: Das Betreuungsverfahrensrecht nach der geplanten FGG-Reform; in: Sonnenfeld (Hrsg.:): Nichtalltägliche Fragen aus dem Alltag des Betreuungsrechts; Festschrift für Werner Bienwald; Bielefeld 2006
  • Zimmermann: Das neue Verfahren in Betreuungssachen; FamRZ 1991, 270