Aufgabenkreis

Aus Online-Lexikon Betreuungsrecht
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Aufgabenkreise einer Betreuung

Für alle Bereiche des Betreuungsrechtes gilt der Grundsatz der Erforderlichkeit. Dieser bezieht sich nicht nur auf das Ob einer Betreuerbestellung, sondern auch auf den Umfang der Betreuung. Die Betreuung darf daher nur für diejenigen Aufgaben bzw. Aufgabenkreise vom Vormundschaftsgericht angeordnet werden, in denen der Betroffene betreuungsbedürftig ist, d.h. nur für solche Aufgaben, die tatsächlich anfallen und die der Betroffene nicht ohne gesetzlichen Vertreter ausüben kann. Aus den Aufgabenkreisen ergeben sich die konkreten Betreuerpflichten. Sie werden in den Betreuerausweis aufgenommen.

Aus dem streng zu beachtenden Erforderlichkeitsgrundsatz, der Verfassungsrang besitzt (BayObLG FamRZ 1994, 1551/1552) folgt, dass der Betreuer nur in dem unbedingt notwendigen Umfang bestellt werden darf (BayObLG FamRZ 1998, 921). Dies zwingt den Richter dazu, die Aufgabenkreise so konkret wie möglich anzugeben (BayObLG FamRZ 1994, 1059), den Handlungsbedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis darzulegen (BayObLG FamRZ 1999, 1612/1613) und zu prüfen, ob nicht weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen (BayObLGZ 1994, 209/212).Bei der Benennung des von ihm als erforderlichen Aufgabenkreises ist der Richter frei, die jeweilige Fallgestaltung kann auch ausgefallene Bezeichnungen rechtfertigen, z.B. Entrümpelung der Wohnung des Betroffenen (vgl. BayObLG BtPrax 2001, 251) oder Regelung von Besuchen der Ehefrau des in einem Heim lebenden Betreuten (vgl. BayObLG FamRZ 2000, 1524).

Wichtige Aufgabenkreise sind:

  • Vermögenssorge. Sie umfasst alle Entscheidungen, die mit dem Vermögen des Betreuten in Zusammenhang stehen. Dieser Aufgabenkreis kann auch zur Verhinderung einer (weiteren) Verschuldung des Betroffenen (BayObLG BtPrax 1997, 160), zur Rückführung seiner Schulden (BayObLG BtPrax 2001, 37; FamRZ 2001, 1245) oder der Regulierung seiner Schulden (BayObLG FamRZ 2001, 1245) erforderlich sein. In vielen Fällen ist aber die Einengung dieses Aufgabenkreises angezeigt, etwa auf die Geltendmachung von Renten- und/oder Sozialhilfe- oder Versicherungsleistungen oder den Abschluss eines bestimmten Vertrages.
  • Wohnungsangelegenheiten. Dieser Aufgabenkreis sollte immer gesondert ausgewiesen werden, wenn Entscheidungen im Zusammenhang mit der Wohnung des Betroffenen erforderlich sind, die dieser selbst nicht mehr treffen kann.
  • Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten. Dieser in § 1896 Abs. 3 BGB ausdrücklich zugelassene Aufgabenkreis darf dem Betreuer nur übertragen werden, wenn konkreter Handlungsbedarf besteht und wenn Umfang oder Schwierigkeit der zu besorgenden Geschäfte eine Überwachung angezeigt erscheinen lassen. Keine Voraussetzungfür die Übertragung dieses Aufgabenkreises ist, dass Bedenken gegen die Redlichkeit oder Fähigkeit des Bevollmächtigten bestehen (BayObLG BtPrax 1999, 151). Bei erheblichen Zweifeln an der Redlichkeit des Bevollmächtigten kann ein Vollbetreuer bestellt werden, wenn die Bestellung eines Vollmachtsüberwachungsbetreuers nicht ausreicht, um eine hierdurch bedingte Vermögensgefährdung ausreichend abzuwenden (BayObLG FamRZ 2001, 1402).

Alle Angelegenheiten

Die Betreuung erstreckt sich nur auf die Angelegenheiten, deren Erledigung das Gericht dem Betreuer überträgt (Aufgabenkreise). Das wiederum darf aufgrund des Erforderlichkeitsgrundsatzes nur für solche Angelegenheiten geschehen, die tatsächlich im Leben des Betreuten vorkommen und die der Betroffene nicht selbst regeln kann („Erforderlichkeitsgrundsatz“ des § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB).

Es ergibt sich zwar aus dem Gesetz (vgl. z.B. §§ 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 69l Abs. 1 Satz 1 FGG), daß es grundsätzlich zulässig ist, dem Betreuer „alle Angelegenheiten” des Betreuten zu übertragen. Praktisch kommt das aber nur in Frage, wenn ohne jeden Zweifel feststeht, dass der Betreute keine einzige seiner Angelegenheiten selbst sinnvoll regeln kann(BayObLGZ 1996, 262/264). Bezüglich sämtlicher Bereiche der konkreten Lebenssituation des Betroffenen muss Handlungsbedarf bestehen (BayObLG FamRZ 2002, 1225/1226). Eine Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers auf alle Angelegenheiten ist deshalb nur zulässig, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, auch nur einen Teilbereich seines Lebens zu bewältigen (BayObLG NJW-RR 1997, 967).

Andernfalls muss sich das Gericht um eine sinnvolle Abgrenzung bemühen. Selbst wenn dem Betreuer alle Angelegenheiten des Betreuten übertragen sind, umfaßt das die in § 1896 Abs. 4 BGB genannten Aufgabenkreise (Postkontrolle) nur, wenn sie ausdrücklich zusätzlich genannt sind. Außerdem ist der Betreuer für „alle Angelegenheiten“ nicht befugt, in die Sterilisation des Betreuten einzuwillen, weil hierfür immer ein besonderer Betreuer bestellt werden muss (§ 1896 Abs. 2 BGB).

Der Aufgabenkreis "alle Angelegenheiten" führt außerdem zum Verlust des Wahlrechtes.

Weitere mögliche Aufgabenkreise

Im Gesetz selbst sind mögliche Aufgabenkreise nicht speziell genannt (Ausnahme: die Einwilligung in eine Sterilisation, die in § 1899 Abs. 2 BGB erwähnt wird).

  • Geltendmachung von Rechten gegenüber einem Bevollmächtigten (Kontrollbetreuer);
  • Überwachung des Bevollmächtigten;
  • Beantragung, Entgegennahme und Einteilung von Rente/Sozialhilfe, sonstigen Sozialleistungen / Arbeitslohn;
  • Geltendmachung von Forderungen gegen Dritte (z.B. Schadensersatz, Schmerzensgeld, Herausgabe);
  • Prüfung von Rechnungen/Abwehr von Ansprüchen Dritter;
  • Vertretung gegenüber Gläubigern/Schuldentilgung;
  • Prüfung und Regelung von Unterhaltspflichten;
  • Verwaltung/Verwertung von Grundvermögen und anderen Vermögenswerten ;
  • Abwehr einer Wohnungskündigung;
  • Vertretung bei Kündigungs- und Räumungsverfahren;
  • Auflösung des Mietverhältnisses und des Haushaltes;
  • Beschaffung einer Wohnung /Mietvertragsabschluss;
  • Vertretung bei Erbauseinandersetzungen;
  • Abschluss von Heimverträgen;
  • Regelung der Heimkosten;
  • Vertretung gegenüber der Heimleitung;
  • Überwachung der Taschengeldverwaltung ;
  • Entscheidung über Einwilligung zu Heilbehandlungen und Untersuchungen;
  • Sicherstellung der ärztlichen Heilbehandlung ;
  • Bestimmung des Aufenthaltes;
  • Zuführung zur Unterbringung;
  • Entscheidung über Fixierungsmaßnahmen;
  • Entscheidung über (Zwangs-) Medikation;
  • Organisation und Kostenregelung von Rehabilitationsmaßnahmen ;
  • Vertretung in gerichtlichen Verfahren und Verwaltungsverfahren;
  • Vertretung gegenüber Behörden;
  • Vertretung in Strafverfahren

Für den Betreuer ist die möglichst genaue Definition seines oder seiner Aufgabenkreise nicht ohne Bedeutung. Ist der Aufgabenkreis unklar, kann es zu Haftungstatbeständen nach § 179 BGB für den Betreuer kommen, wenn er außerhalb seines Aufgabenkreises Willenserklärungen abgibt.

Ein Betreuer kann nicht bestellt werden für die Zustimmung zu einer Organspende, weil dies nicht dem Wohl des Betroffenen sondern allenfalls dem des Organempfängers dient (AG Mölln, LG Lübeck FamRZ 1995, 1232).

Anderungen der Aufgabenkreise

Stellt ein Betreuer fest, dass sein Aufgabenbereich nicht ausreicht, sollte er im eigenen Interesse eine möglichst konkret begründete Erweiterung des Aufgabenkreises beim Vormundschaftsgericht beantragen.

Der Betreuer darf sich also nicht darauf beschränken, die ihm zugewiesenen Aufgabenkreise zu erledigen, und sich im übrigen um die Angelegenheiten des Betreuten nicht zu kümmern. Ihn trifft die gesetzliche Pflicht, mit dafür zu sorgen, dass die übertragenen Aufgabenkreise dem Wohl des Betreuten entsprechen. Er muss daher nach § 1901 V Satz 2 BGB alle Umstände, die für eine Änderung sprechen, dem Vormundschaftsgericht mitteilen.

Dies gilt für den Fall, dass er die Notwendigkeit sieht, weitere Angelegenheiten in die Betreuung einzubeziehen, als auch den Fall, dass sich die ursprüngliche Feststellung als zu weitgehend herausstellt.

Für die Einschränkung der Aufgabenkreise gelten dieselben Verfahrensbestimmungen wie für die Aufhebung der Betreuung69i III BGB). Das Verfahren bei einer Erweiterung der Aufgabenkreise richtet sich grundsätzlich nach denselben Vorschriften wie das Betreuungsverfahren69i I 1 BGB).

Die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens sind jedoch ausnahmsweise entbehrlich, wenn:

  1. diese Verfahrenshandlungen in einem vorausgegangenen Verfahren durchgeführt wurden und nicht länger als sechs Monate zurückliegen oder
  2. der Aufgabenkreis nur unwesentlich erweitert wird (§ 69i I 2 BGB), wobei immer als wesentliche Erweiterung gilt, wenn dem Betreuer die Post- oder Telefonkontrolle, die Einwilligung auch in gefährliche Heilbehandlungen, die Freiheitsentziehung oder überhaupt erstmals persönliche Angelegenheiten als Aufgabenkreis übertragen werden.

Rechtsprechung

BayObLG, Beschluss vom 12. 3. 1997 - 3 Z BR 47/97, NJW-RR 1997, 967 = FamRZ 1998, 452: Voraussetzungen für die Anordnung einer Totalbetreuung

1. Keine Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers auf die Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen, wenn dieser in der Lage ist, einen Teilbereich seines Lebens zu bewältigen.

2. Erfährt der Betroffene die notwendige, nicht mit Freiheitsentziehung verbundene "Führung" durch das Heimpersonal, liegt darin eine "andere Hilfe" i. S. des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB, die eine Betreuung insoweit erübrigt.

3. Es ist unzulässig, bei Betreuungsbedürftigen, die aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung ihr Wahlrecht nicht ausüben können, der Gefahr von Wahlmanipulationen durch die Anordnung einer Totalbetreuung zu begegnen, ohne daß eine solche Maßnahme nach den allgemeinen Grundsätzen erforderlich ist.


BayObLG, Beschluss v. 13.12.2000 - 3Z BR 353/00: Die Betreuung darf Aufgabenkreise nicht umfassen, die der Betreute noch selbst besorgen kann.

Ein Aufgabenkreis kann auch eine einzige oder wenige einzelne Angelegenheiten umfassen. Ein Betreuungsbebürfnis besteht nicht, wenn der Betreute psychisch in der Lage ist, zur Regelung seiner Angelegenheiten Hilfe eines anderen, z.B. eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters in Anspruch zu nehmen und ein Gesunder dies auch tun würde.


BayObLG, Beschluss vom 29. April 2003, 3Z BR 75/03:

Bestellung eines Betreuers: Notwendigkeit einer Betreuung für alle Angelegenheiten;


KG, Beschluss vom 26.04.2005, 1 W 414/04

Es ist nicht erforderlich, den Aufgabenkreis eines Betreuers zu erweitern, wenn der Betroffene geistig behindert ist, seine Angelegenheiten in dem fraglichen Bereich aber gleichwohl selbst besorgen kann. Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das Vormundschaftsgericht zu treffen, sie dürfen nicht allein einem medizinischen Gutachter überlassen werden.


OLG Schleswig, Beschluss vom 15.3. 2007 - 2 W 20/07, FGPrax 2007, 231 = BtPrax 2007, 268 (Ls):

Aufwendungsersatz für eine Strafverteidigung kann der Berufsbetreuer (Rechtsanwalt) grundsätzlich nur verlangen, wenn sich der Aufgabenkreis ausdrücklich hierauf erstreckt. Der Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden“ und anderen Institutionen reicht nicht aus.

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Weitere Literatur

  • Harm: Die Personensorge im Betreuungsrecht; BtPrax 2005, 98

Weblinks


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