Regress der Staatskasse
Grundsätzliches
Die Staatskasse (Landeskasse) kann durch den Bezirksrevisor Regressforderungen gegen den Betreuten geltend machen, wenn Betreuervergütungen und Aufwendungsersatz (einschl. der Aufwandspauschale) wegen früherer Mittellosigkeit aus der Staatskasse bewilligt wurden und der Betreute nunmehr zur (auch ratenweisen) Zahlung imstande ist (§ 1836e BGB).
Seit dem In-Kraft-Treten des 1. BtÄndG am 01.01.1999 handelt es sich bei den Zahlungen aus der Staatskasse nur noch um eine Vorleistung. Wenn die Staatskasse Auslagen oder Vergütung an den Betreuer gezahlt hat, kann sie sich diese Beträge vom Betroffenen zurückholen, wenn er Einkünfte oder Vermögen hat, das über der Grenze der Mittellosigkeit liegt (aber zur vollständigen Befriedigung der Ansprüche des Vormunds, Pflegers oder Betreuers nicht ausreicht, entsprechend § 1836d BGB).
Ein Regressanspruch entsteht auch dann, wenn der Betreute später Vermögen erwirbt (z.B. durch eine Erbschaft, vgl. § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Nach dem Tod des Betreuten kann die Staatskasse sich an den Nachlass halten.
Der Freibetrag für den Erben eines verstorbenen Sozialhilfeempfängers (§ 102 SGB XII) sowie für den Erben des verstorbenen Betreuten (§ 1836e BGB) beträgt 2.244 € (Stand 1.1.2012). Der Freibetrag für pflegende Angehörige nach den obigen Bestimmungen bleibt bei Sozialhilfe bei 15340,-- €, bei ALG 2 nach § 35 SGB II bei 15.500,-- Euro.
Handhabung
Wie das Betreuungsgericht diesen Rückgriff auf das Vermögen des Betreuten zu handhaben hat, ist in § 168 FamFG geregelt: Mit der Festsetzung bestimmt das Gericht Höhe und Zeitpunkt der Zahlungen, die der Mündel an die Staatskasse nach den §§ 1836c bis 1836e des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu leisten hat. Es kann die Zahlungen gesondert festsetzen, wenn dies zweckmäßig ist.
Dabei kann es
- den Betreuten zu einer einmaligen Zahlung auffordern, z.B. zur Zahlung des über den „Schonbetrag“ hinausgehenden Teils des Sparguthabens;
- den Betreuten zu regelmäßigen, beispielsweise monatlichen, Zahlungen auffordern, z.B. wenn er Einkommen hat, das die Grenze der Mittellosigkeit überschreitet.
Es kann die vom Betreuten zu zahlenden Beträge aber auch später festsetzen. Eine spätere Festsetzung kommt dann in Betracht, wenn
- zunächst davon ausgegangen worden war, dass der Betreute mittellos war, sich dies aber im Nachhinein als falsch herausgestellt hat ;
- der Betreute später über Einkünfte verfügt, die ihm Zahlungen ermöglichen oder er später Vermögen erwirbt.
Kritik
Die Regelung ist rehabilitationsfeindlich. Psychisch kranke Menschen, die in der Zeit ihrer Erkrankung einen Betreuer benötigten, müssen bei Behandlungs- und Rehabilitationserfolg noch zehn Jahre später die Kosten der Betreuung zurückzahlen. Wer innerhalb von zehn Jahren nach Betreuerbestellung z.B. wegen späterer Erfüllung der Wartezeit eine Rente erhält, muss diese einsetzen.
Neuregelung der Rückforderungsfrist zum 1.1.2010
Das Gesetz war zum 1.1.2010 dahingehend geändert worden, dass die 10-Jahresfrist aus dem § 1836e BGB herausgenommen wurde. Nunmehr gilt hier die allgemeine Verjährungsfrist von 3 Jahren (§§ 195, 199 BGB). Anders als jedoch im Regierungsentwurf, nach dem die Erlöschensfrist in Satz 2 des § 1836e von zehn auf drei Jahre verkürzt werden sollte, wurde auf Vorschlag des Rechtausschusses des Bundestags der 2. Satz ersatzlos gestrichen. Die Begründung lautete, dass ja dann ohnehin die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB bei noch nicht titulierten Ansprüchen gelte.
Hierbei wurde nicht bedacht, dass es zwischen der bisherigen materiell-rechtlichen Erlöschensfrist und der Verjährung grundsätzliche Unterschiede gibt. Erstere ist beispielsweise nicht von der Kenntniserlangung des Anspruchsberechtigten (Staatskasse, vertreten durch Bezirksrevisor) abhängig, letztere erlischt nicht mit Ablauf der Frist; der Zahlungspflichtige (Betreute oder sein Erbe) müsste sich ausdrücklich darauf berufen.
Hinzu kommt das Problem der Übergangsbestimmung. Art. 229 § 23 EGBGB bestimmt, dass für alle am 1.1.2010 nicht verjährten Ansprüche das neue Recht anzuwenden ist und der Lauf der Frist mit diesem Datum beginnt, wenn die Verjährung nach früherem Recht länger gedauert hätte. Da nach altem Recht aufgrund der (ebenfalls zum 1.1.2010) aufgehobenen Sondervorschrift des § 197 Abs. 2 BGB eine Verjährung der Staatskassenansprüche von 30 Jahren gegeben wäre, bedeutet dies bei wörtlicher Auslegung der Übergangsvorschrift, dass bei allen Ansprüchen der Staatskasse nach § 1836e BGB, die seit 1999 existieren, eine Verjährung erst drei Jahre nach dem Inkrafttreten des neuen Rechtes, mithin mit Ablauf des 31.12.2012 eintreten wird. Hierdurch wäre die Absicht des Gesetzgebers, den Regresszeitraum zu verkürzen, in das Gegenteil verwandelt worden.
Die Landgerichte Duisburg (12 T 110/11), Kleve (BtPrax 2012, 34 = Rpfleger 2/2012), Schweinfurt (BtPrax 2011, 135) und Würzburg (BtPrax 2011, 135) hatten die Anwendung des Art. 229 § 23 EGBGB und damit eine Verlängerung des Staatskassenanspruches bejaht. Demgegenüber haben die Landgerichte Augsburg (Beschlüsse vom 23.8.2010 – 052 T 3326/10 und 052 T 3545/10), Dresden (Beschluss 2 T 422/11 vom 23.8.2011) und Mönchengladbach (Beschluss 5 T 151/11 vom 19.7.2011) diese Auslegung ausdrücklich zurückgewiesen. Sie sahen nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers eine Verkürzung des Anspruches auf drei Jahre ohne Anwendung des Art. 229 § 23 EGBGB.
Der BGH hat sich durch 3 Entscheidungen vom 25.1.2012 der letztgenannten Ansicht angeschlossen (BGH, Beschlüsse XII ZB 605/10, XII ZB 461/11 und XII ZB 497/11). Es bleibt also bei der seitens des Gesetzgeber auf 3 Jahre verkürzten Frist (auch für Ansprüche aus frührerer Zeit).
Geltendmachung gegen Erben des Betreuten
Ist der Betreute verstorben, bestimmt das Gericht, wann und in welcher Höhe Zahlungen aus dem Nachlass zu leisten sind. Bei Ansprüchen der Staatskasse gegen den Nachlass wird in der Regel nur ein einmaliger Betrag in Betracht kommen. Gehören aber wiederkehrende Leistungen von dritten Personen, z.B. Mieteinnahmen oder Zinsen zum Nachlass, sind auch regelmäßige Erstattungsbeträge an die Staatskasse denkbar. Insgesamt kann der Erbe des Betroffenen in gleicher Weise zum Ersatz der von der Staatskasse für die Betreuung verauslagten Beträge herangezogen werden wie der Erbe eines Empfängers von Sozialhilfe zu deren Kosten
Beerdigungskosten sind vorrangig vor dem Rückgriff der Staatskasse; keine Begrenzung auf den Freibetrag nach § 102 SGB-XII: BayObLG BtPrax 2002, 77 = FamRZ 2002, 699 (m.Anm. Bienwald) = NJW-RR 2002, 1229 = ZEV 2002, 468; OLG Düsseldorf ZEV 2002, 468 = NJW-RR 2002, 1660 = BtPrax 2002, 263, OLG Zweibrücken Rpfleger 2004, 488; ebenso für Sozialhilferecht OVG Rheinland-Pfalz ZfSH/SGB 2003, 25
Rechtsprechung
OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2006; 15 W 322/05; FamRZ 2006, 1876 (Ls.):
Nachträgliche Veränderung der Leistungsfähigkeit des Betreuten
Ansprüche des Betreuers gegen den Betreuten gehen auf die Staatskasse über, soweit diese den Betreuer wegen seiner Forderungen befriedigt. Bei der Geltendmachung und Durchsetzung dieses Anspruchs im Verfahren nach § 56g FGG ist auch eine nachträgliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse uneingeschränkt zu berücksichtigen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Betreute später zusätzliches Vermögen erwirbt, oder bereits zur Zeit der Leistung der Staatskasse vorhandene Vermögensgegenstände aufgrund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ihre Eigenschaft als privilegiertes Vermögen verlieren.
OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.6.2007, 8 W 245/07; FamRZ 2007, 1912 = BtMan 2007, 203 (Ls) = FGPrax 2007, 270:
- Der Tod des Betreuten im Regressverfahren gem. § 1836e BGB führt nicht zur förmlichen Unterbrechung, sondern zur Fortsetzung des Verfahrens gegen die Rechtsnachfolger von Amts wegen. Die unbekannten Erben werden dabei durch den Nachlasspfleger gesetzlich vertreten. Beim Eintritt des Todes des Betreuten im Rechtsbeschwerdeverfahren ist eine Titelumschreibung auf die Erben ohne Vorbehalt möglich. Zur Beschränkung ihrer Haftung müssen sie eine Vollstreckungsabwehrklage nach §§ 781, 785, 767 ZPO erheben.
- Rückforderungsansprüche des Trägers der Sozialhilfe sind gegenüber dem Regressanspruch gem. § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorrangig. Das haftende Aktivvermögen wird nicht bereits durch das Bestehen und die Titulierung eines Anspruchs geschmälert, sondern erst mit dessen Durchsetzung.
LG Koblenz, Beschluss vom 24.07.2007, 2 T 283/07; FamRZ 2007, 2008:
Ordnet das Gericht an, dass nach dem Tod des Betreuten eine aus der Staatskasse gezahlte Betreuervergütung zu erstatten ist, haften die Erben zwar nur mit dem Wert des Nachlasses unter Anwendung der Haftungsgrenzen des § 102 SGB XII (das sind seit 1.7.2008 2.106,00 Euro); für den Anspruch der Staatskasse ist es jedoch unerheblich, dass ein Miterbe sein Erbe nicht ausbezahlt erhielt. Wie die Erben den Nachlass untereinander aufteilen bzw. wer von ihnen die Betreuervergütung letztlich begleicht, ist für das Bestehen des Regressanspruches unerheblich.
LG Koblenz, Beschluss vom 24.6.2008; 2 T 378/08, FamRZ 2009, 371:
Anordnung der Rückzahlung von Betreuungskosten gegen Betreute wegen eventuellem Unterhaltsanspruch gegen ihre Mutter ist rechtmäßig. Es ist nicht möglich, gegen einen Gerichtsbeschluss vorzugehen, nach der die durch die Betreuung entstandenen Kosten wegen eines möglicherweise bestehenden Unterhaltsanspruchs der Betreuten gegen ihre Mutter zurückgefordert werden, wenn die Betreute hierzu vorbringt, über entstehende Kostenpflichten zu Lasten ihrer Mutter nicht aufgeklärt worden zu sein.
LG Osnabrück, Beschluss vom 10.07.2008, 7 T 486/08, BtMan 2009, 36 (Ls):
Rückforderungsbetrag kann zu Lebzeiten des Betreuten festgesetzt werden
Ein Beschluss mit der Festsetzung des Rückforderungsbetrages kann auch zu Lebzeiten des Betreuten ergehen, wenn ein Betreuer Leistungen aus der Staatskasse erhalten hat, da die gleichzeitige Festsetzung von Betreuervergütung und Festsetzung von Höhe und Zeitpunkt der Zahlungen, die der Betreute an die Staatskasse zu erbringen hat, grundsätzlich vorgesehen ist. Hierbei ist eine Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Betreuten nach Maßgabe des SGB-XII erforderlich. Regelmäßig ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen - auch eine vermietete Eigentumswohnung.
OLG Köln, Beschluss vom 20.11.2008, 16 Wx 207/08; FGPrax 2009, 71 = BtMan 2009, 100 (Ls) = BtPrax 2009, 81:
Der umfassende Begriff der "Staatskasse" hat zur Folge, dass in den Fällen eines Wechsels des Bundeslandes die jeweilige Landeskasse des örtlich zuständigen Vormundschaftsgerichts Zahlung nach § 56 g Abs. 1 FGG an die eigene Landeskasse in Verfahrensstandschaft für weitere betroffene Landeskassen verlangen kann. Ob und wie ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Bundesländern stattfindet, spielt für die vorliegende Entscheidung keine Rolle.
LG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2008, 5 T 385/07, BtMan 2009, 101 (Ls) = BtPrax 2009, 88 = FamRZ 2009, 1094:
- Die Rückforderung von Betreuungskosten, die aus der Landeskasse gezahlt worden sind, ist auch dann mit der sofortigen Beschwerde angreifbar, wenn die Rückforderung nicht in der Form eines Festsetzungsbeschlusses erfolgt ist.
- Wird einem Betreuten Sozialhilfe als Darlehen gewährt, ist der entsprechende Rückzahlungsanspruch des Sozialhilfeträges bei der Ermittlung des Nachlasswertes im Sinne von § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB vorrangig als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen. Führt dies zu einer Überschuldung des Nachlasses, scheidet eine Regressforderung der Staatskasse aus.
- Die Haftungsbeschränkung des § 1836 e Abs. 1 S. 3 BGB gilt auch dann, wenn der Erbe nach dem Tod des Betreuten unmittelbar auf die noch nicht festgesetzte Betreuervergütung in Anspruch genommen werden soll.
LG Kleve, Beschluss von 06.06.2011, 4 T 86/11; BtPrax 2012, 34 = Rpfleger 2/2012:
- Nach Streichung des § 1836e Abs. 5 BGB unterfallen die Regressansprüche des § 1836e BGB ab dem 1.Januar 2010 nur noch der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB. Gem. Art. 229 § 23 EGBGB ist das neue Verjährungsrecht grundsätzlich auf alle am 1. Januar 2010 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche anwendbar.
- Der Beginn der Verjährung und die Verjährungsfrist bestimmen sich jedoch weiterhin nach altem Recht, wenn nach diesem Recht die Verjährung früher abläuft als nach neuem Recht (Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 EGBGB). Bestimmen sich Verjährungsbeginn und Verjährungsfrist nach neuem Recht, beginnt die Frist nach Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 1 EGBGB nicht vor dem 1. Januar 2010.
- Eine Rentennachzahlung ist in vollem Umfange als einzusetzendes und verwertbares Vermögen im Sinne des § 1836c Nr. 2 BGB i. V. m. § 90 SGB XII zu behandeln.
Weitere Rechtsprechung zum Staatsregress unter: [>dejure.org ]
Literatur
- Deinert/Lütgens: Die Vergütung des Betreuers; neu, 6. Auflage 2012 Infos hierzu , ISBN 978-3-89817-932-4
- Clauss-Hasper: Probleme der Verjährungsfrist für auf die Staatskasse übergegangene Aufwandsentschädigungsansprüche des Betreuers; FamFR 2012, 193
- Conradis: Sozialhilfregress, Kostenersatz durch den Erben; ZEV 1005, 379
- Schneider: Die Vergütung des Betreuers in Sonderfällen, des Pflegers und des Verfahrenspflegers der Regressanspruch der Staatskasse; RpflStud 2007, 165